Stolzenburger Nachbarschaften

In Stolzenburg gab es  4  Nachbarschaften.

Nachbarschftszeichen ?

Statuten

Ablauf

Pflichten und Vorteile  usw.

Auch hier benötige ich Hilfe, wer kann Genaueres von und über die Stolzenburger Nachbarschaften berichten?
Schreibt uns einfach, oder ein Anruf tut es auch …

Danke

Reinhardt Linder 05.07.2023

Die Stolzenburger Nachbarschaftsbücher

Wie die Jungfrau zum Kinde kam ich zu diesem Thema:

Vor mehreren Wochen brachten mir Landsleute zwei Nachbarschaftsbücher zum Anschauen und meinten so nebenbei, dass ich doch einen Beitrag zu diesem Thema schreiben könnte. Wochenlang warteten die Bücher dann unbeachtet in einer Ecke, bis ich sie endlich hervorholte und mir näher ansah.
Nun bin ich keine Historikerin und kann über diese uralte und wichtige Einrichtung der Nachbarschaften, die so typisch und wichtig für das siebenbürgisch-sächsische Gemeinwesen war, nicht mehr sagen, als ich vom Hörensagen und aus den mir nun vorliegenden zwei Nachbarschaftsbüchern erfahren habe. Außerdem war Nachbarschaftswesen ausschließlich Männersache (bis auf das Backen und Kochen!).

Wie und weshalb wird man Nachbarschaftsmitglied?

Ein verheirateter Mann konnte sich als Familienoberhaupt in die Nachbarschaft (NB) einkaufen (äbidden), wenn er die Leistungen derselben in Anspruch nehmen wollte: Unterstützung, auch finanzielle, bei einer Beerdigung, Hilfe beim Hausbau oder bei Notfällen. Dafür musste er auch allen Pflichten nachkommen: Beteiligung an Gemeinschaftsarbeiten an Kirche, Pfarrhaus und Burg, Anwesenheit, div. Aufgaben übernehmen bei Beerdigungen und Zusammenkünften sowie Einzahlen in den Leichenfonds. Auch kam irgendwann an ihn die Reihe, Mahlgeber zu sein, also die dreitägige Faschingszusammenkunft aller Mitglieder seiner NB beherbergen und Essen und Gebäck aus eigener Tasche bestreiten. Den Wein und das Fleisch stellte allerdings die Nachbarschaft gemeinschaftlich. Das Geld hierfür wurde bei jedem Mitglied einzeln eingesammelt. Wer nicht Gastgeber sein konnte oder wollte, musste einen sehr hohen Betrag zahlen, um weiter Mitglied der NB zu bleiben, denn es war erwünscht, dass man in natura und nicht in Geld das Mahl gab.

Wann fand früher die Fastnacht in Stolzenburg statt?

Übrigens, die Fäousnicht (Fastnacht) begann in Stolzenburg erst am Aschermittwoch (wenn andernorts bereits Kehraus ist), ähnlich der alemannischen, der sog. Buurefasnet, die am Wochenende nach Aschermittwoch begangen wird. Erst nach 1982, also in der Amtszeit des Pfarrers W. Seidner, wurde sie eine Woche vorgezogen, damit nicht in den 1. Fastensonntag hinein gefeiert wurde.
Nach der streng-ernsten Sitzung („Zugang“ mit „Gericht“ und „Versöhnung“) am Aschermittwoch wurde Punkt 21 Uhr „Urlaub gegeben“, danach ging das Feiern los und am Donnerstag weiter. Nach einer Pause am Freitag kamen am Samstag auch die Ehefrauen dazu und sorgten mit Musik und Tanz für Geselligkeit und Unterhaltung.

Die Vier Nachbarschaften, von … bis…

Bekanntlich gab es in Stolzenburg vier Nachbarschaften: die kleinste, die sog. Erste, war die Kirchgässer NB. Sie erstreckte sich über die Kirchgasse von der „Koprativ“ gegenüber vom Hallmen, dem „Spätz“, bis zum „Paulen Tin“ (Wenzel); „de Ëiwerschten“ (Obergasse) waren die sog. Zweite NB und die Dritte umfasste die Anglergasse, auch Angerlein genannt, während de Nedderschten, lt. Buch die Vierte, die größte NB war. Sie umfasste die Niedergasse, den Winkel, das Trajement/die Postgasse, die Glodaren, die Zeile und die (!) Hundsbach…
Eignen sich auch als Waffe! Was ist das Besondere an den Büchern?
Die Nachbarschaftsbücher mit ihrem faszinierenden Inhalt beeindrucken allein schon durch ihre Maße (30×40, 30×45 cm!) und ihr Gewicht (2,3 bzw. 4,2 kg!), ganz zu schweigen von ihrem Alter (Beginn der Aufzeichnungen laut Titelblatt 1850 bzw. 1872, erste Sitzungsprotokolle ein paar Jahre später) und der kalligraphisch einwandfreien Kurrent- oder Sütterlinschrift in den frühen Jahren (bis 1943, danach lateinische Schrift). Ein Hauptgrund, über diese wertvollen Zeitdokumente (wenn auch nur als Laie) zu berichten, ist die Tatsache, dass kaum jemand diese Bücher je zu Gesicht bekommen hat, da nur der Auldnǝber (Altnachbar, Nachbarvater) und der Schriftführer, das Amt also, sie verwahrt und jährlich fortgeschrieben haben. Daher möchte ich den interessierten Lesern diese spannenden Zeitdokumente hier vorstellen. Landsleute, die etwas zum Verbleib der anderen beiden Nachbarschaftsbücher wissen, können sich gerne beim Förderverein Stolzenburg e. V. oder bei mir melden, damit wir alle noch mehr über das nachbarschaftliche Leben in Stolzenburg erfahren.

Der Aufbau der Bücher:

a) Am Anfang stehen die „Artikel“ (Satzung). Die eine NB kommt mit 22 Artikeln aus, während die andere 26 festhält. Darin ist die Höhe der Gebühren, der Strafen für diverse Vergehen festgelegt (unentschuldigte Abwesenheit, auch verspätetes Erscheinen, ungebührliches Verhalten, Erscheinen in Arbeitskleidung zur Beerdigung oder den Zusammenkünften, etc.), immer mit der Bemerkung am Schluss: aber mit Veränderung der Zeiten, (=konjunktur-/inflationsbedingte Erhöhungen möglich).
b) Danach findet man das fortlaufende Namensverzeichnis aller Nachbarschaftsmitglieder mit Hausnummer, Geburts-, Eintrittsdatum in die NB und eine Spalte für Bemerkungen, z. B. Todes- oder Austritts-, Abwanderungsdatum.
c) Es folgen die Niederschriften der jährlichen Aschermittwochs-Sitzungen, der sog. Zugänge. Bei der einen NB heißen sie „Protokoll“, bei der anderen „Verzeichniss“ und beinhalten den Ablauf dieser Sitzungen, deren Vorsitz in der Regel der Altnachbar hatte. Mindestens ein weiterer „Zugang“ im September/Oktober ist dokumentiert, nämlich wenn die Weintrauben für den Nachbarschaftswein gekauft wurden. Auch bei außergewöhnlichen Vorkommnissen, Streitigkeiten, usw. konnte eine Sitzung mitten im Jahr angeordnet werden. Anwesenheitspflicht ist bei diesen und v.a. bei Beerdigungen und Gemeinschaftsarbeiten zwingend, entschuldigt war nur, wer ein ärztliches Zeugnis oder eine Gerichtsladung vorweisen kann.
Zu den Sitzungsprotokollen: Man sollte denken, dass diese in beiden Nachbarschaftsbüchern nahezu identisch aufgebaut sind, exakt dem gleichen Muster folgend. Mitnichten. Während die eine NB im Aschermittwochs-Protokoll Gericht, Versöhnung, das Einsammeln der Strafgelder und recht summarisch Einnahmen, Ausgaben und Kassenstand preisgibt, fällt das sog. „Verzeichnis“ der anderen NB sehr detailliert aus: Ablauf des Zugangs (Fastnachtssitzung) mit „Richttag“, Einsammeln der Strafgelder, recht ausführlichem tabellarischem Rechenschaftsbericht sowie Aufzählung aller Beerdigungen des vergangenen Jahres, sogar mit Anzahl der fehlenden „Nachbarn“ (=Mitglieder).
Beide NB vermerken im Protokoll eingangs die Begrüßung durch den Altnachbarn, das „Verlesen“ (=Anwesenheitsprüfung), Anmeldungen von Neuzugängen, Abdankungen, Bestellung der Gastgeber für das Folgejahr, etc. Bei beiden Nachbarschaften werden an dieser Stelle auch Anträge, Abstimmungen und Beschlüsse festgehalten.
Während eine NB die „Versöhnung“ zerstrittener Nachbarn direkt in der Aschermittwochssitzung abhält, wird dieser Punkt bei der anderen NB zu einem späteren Datum im März oder April erledigt, auf jeden Fall VOR Ostern, damit die Ausgesöhnten guten Gewissens zum Abendmahl gehen können, denn wir alle wissen: Wenn man mit jemandem zerstritten ist, darf man nicht zum Abendmahl gehen.

Welche Funktionen konnte man innerhalb der NB bekleiden?

Die „Ämter“ sind wie folgt festgelegt, werden laufend bestätigt oder ggf. neu bestellt:
-Altnachbar
-Mittelaltnachbar oder Jungaltnachbar (1. Vertreter des AN)
-Jungaltnachbar oder Jüngstaltnachbar (2. Vertreter)
-Schriftführer/Schreiber
-3 Aufseher/Aufschauer
-eine bestimmte Anzahl an Sargträgern wurden für 4, später für 2 Jahre festgelegt: die „Herausbringer“ (aus dem Haus) und „die zum Friedhof tragen“.
In den Büchern sind die „Grabmacher“ zwar nicht explizit genannt, aber auch sie wurden im Voraus für diese Aufgabe bestimmt. Wie mir ein Landsmann berichtete, wurde ihnen beim Ausheben und Vorbereiten der Grabstelle eine kleine Jause von der trauernden Familie auf den Friedhof gebracht. Diese Männer gaben dann kurz vor „Zwei“ (14:00 = übliche Uhrzeit für Beerdigungen) mit einem weißen Tuch dem Burghüter auf dem gegenüberliegenden Burgberg das Startzeichen zum Läuten, also zum Beginn der Trauerfeierlichkeit. Für ihre Dienste erhielten sie nach der Beerdigung ein warmes Essen („Tokana“ und Wein) gestellt.
Die Geldstrafen bei Abwesenheit von Beerdigungen waren für die o.g. Amtsträger höher, oft doppelt so hoch wie für Nachbarn ohne ein „Amt“. Um die Strafzahlung abzuwenden, konnte jeder eine Vertretung zur Beerdigung schicken. Auf meine Frage an einen Landsmann, ob auch eine Frau ihren Mann bei der Beerdigung vertreten könne, wenn dieser nicht Sargträger war, lautete die kategorische Antwort: „Nein, nur Maintschen“ (Menschen)! –

Verhaltenskodex, vor allem für junge Mitglieder

Übrigens mit „Nachbar“ und dem Familiennamen hatte man sich bei offiziellen Veranstaltungen anzusprechen. Bei einer Zusammenkunft unaufgefordert aufzustehen und sich von seinem altersgemäß fest zugewiesenen Platz an der Tafel zu entfernen oder ungefragt das Wort zu ergreifen, war undenkbar, zu Neudeutsch ein No-Go! Auch vorzeitiges Verlassen des Friedhofs „vor dem Einscharren“ oder den sich anschließenden Trauergottesdienst zu schwänzen, wurde mit Geldstrafen belegt.

Die Entwicklung der Nachbarschaften nach dem 2. Weltkrieg. Ihr Ende

Da zwei der NB sehr groß waren, fanden die Bewirtungen nach gemeinsam abgehaltener Aschermittwochs-Sitzung bei jeweils drei oder gar vier Gastgebern statt. Die Zuteilung zum jeweiligen „Mahlgeber“ wurde vom Altnachbarn und seinen Vertretern festgelegt.
Später wurden es nur noch drei, dann lediglich zwei Gastgeber pro NB und 1990, mit beginnendem Exodus, fand der letzte „Zugang“ statt und zwar im Jugendzimmer des Pfarrhauses. Im selben Jahr am 8. Juli wurde ebenda beschlossen, für 1991 alle vier Nachbarschaften zu einer zusammenzulegen. Hiermit hören die Aufzeichnungen auf, somit war die von 1990 die letzte abgehaltene Fastnachtssitzung.
Welche Dimensionen die massive Auswanderung hatte, belegt auch die Tatsache, dass im Sommer 1990 der Trauermarsch zum Friedhof erstmalig ohne Musikkapelle erfolgte.

Die Bücher spiegeln Zeitgeschichte wieder. Die schwersten Zeiten

Denkwürdiges können wir in einem der Bücher über die Jahre 1944, 1945, ff. erfahren:
Am 15. März 1944 endet die Aschermittwochs-Sitzung: „Mit dem Wunsch, dass bald wieder normale Zeiten kommen mögen, schließt der Altnachbar den Zugang.“
1945 konnte der Aschermittwoch aus allseits bekannten Gründen nicht abgehalten werden: Viele Männer waren noch im Krieg oder in Gefangenschaft und mehr als 200 Personen waren im Januar d. J., also ein paar Wochen vor Fasching, deportiert worden. Die „Anmerkung“ eines Mittelaltnachbarn umfasst eine ganze Buchseite: „Mit dem Durchbrausen des Krieges durch unsere liebe Heimat im September 1944 begann die schwerste Zeit der Erniedrigung, Plage und Not für unsere Gemeinde…“, aber auch Hoffnung wird zum Schluss geäußert: „Aus Not werden Gemeinschaften geboren. Das walte Gott.“
Die große Teuerung der Nachkriegszeit erkennt man u. a. an den (praktisch wertlosen) Beträgen 1946, als der Kassenstand 90.000 Lei betrug.
1947 wurde der Kassenrest von 68.000 Lei (Inflation!) einer Kriegswitwe mit fünf Kindern geschenkt und der Mittelaltnachbar äußerte zum Schluss der Sitzung den Wunsch, dass der nächste Zugang eine Vollversammlung werde, „wo keiner mehr fehle“.
Zwischen den Jahren 1951 und 1955 wurden nur die Sitzungen (Gericht und Versöhnung) abgehalten und keine Nachbarschaftsmähler genossen, weil es wohl die wirtschaftliche Lage nicht erlaubte.

Ein Vergleich lohnt immer

Die Kassenberichte der beiden Bücher vergleichend ist festzustellen, dass die eine NB mit ihrem Geld besser wirtschaftete: Es blieb immer ein gewisser Betrag am Jahresende übrig, der beim Altnachbarn aufbewahrt wurde, während die andere NB anscheinend auf größerem Fuße lebte: die Ausgaben überstiegen oft die Einnahmen. Bemerkenswert ist übrigens, dass dieselbe NB 1982 das Rauchen beim Nachbarschaftsessen verboten hatte. Fortschrittlich!
Aber auch bei der sparsameren NB wurde nicht geknausert, wenn es um „lebenswichtige“ Dinge ging: Ein Antrag, 1956 zwei Weinfässer beim Büttner für insges. 950 Lei zu erwerben, wird einstimmig von der gesamten Nachbarschaft angenommen!

Einiges zum Schmunzeln muss auch sein

Erfreulich ist, dass die Protokolle nicht nur Nachdenklich-Ernstes enthalten sondern auch skurril-lustig-drollig Anmutendes:
1956: „die Nachbarn, die zum Fasching der Frauen gehen, werden mit 50 Lei bestraft.“ Oder: „Der Altnachbar begrüßt die Anwesenden auf das Herzlichste und bittet um Ruhe.“ An anderer Stelle heißt es: „Der Altnachbar eröffnet den Zugang und begrüßt die anwesende Nachbarschaft mit Freuden bei ihrer zahlreichen Erscheinung.“
Es herrtschen klare Regeln und Disziplin:
Alle Nachbarn mussten beim anschließenden Trauergottesdienst erscheinen, „…nur die mit dem Werkzeug dürfen nach Hause gehen.“(also die Grabmacher mit ihren Schaufeln, Spaten, Seilen und sonstigem Werkzeug).
Hatte man für die Fastnachtsfeiern keinen Wein bezahlt, konnte man auch keinen genießen (konsumieren) oder andersrum: Wer krankheitsbedingt keinen Wein genießen konnte, musste auch keinen bezahlen und erhielt das bereits eingezahlte Geld zurück.
Den alten und gebrechlichen Nachbarn, die nicht zum Mahl erscheinen konnten, wurde in einem Pfännchen das Essen nachhause gebracht, damit sie auch etwas „zum zehren haben“ .
Weitere Ausdrücke scheinen auch aus längst vergangenen Zeiten zu stammen: Wer wiederholt gegen die Regeln verstieß und seinen Zahlungspflichten nach gesetzter Frist nicht nachkam, wurde aus der Nachbarschaft ausgeschlossen und aus dem Verzeichnis „gestrochen“.
Ein einstimmig angenommener Beschluss lautete: „…sollten Mitglieder eine getraute und eine ungetraute Frau haben, aber mit der ungetrauten Frau zusammenleben, so fällt im Todesfall die getraute Frau in das Recht zur Beerdigung hinein.“
Einmal wurde sogar eine Strafe über ein Nachbarschaftsmitglied verhängt wegen „Verfälschung des Nachbarschaftsweines, was bei ihm im Keller zur Besorgung war“.
1961 wurde ein Nachbar mit einer Geldstrafe belegt, weil er beim Faschingsmahl seine Schuhe ausgezogen und unter den Tisch gestellt hatte: „die Nachbarn haben bei dem stinkigen Geruch das Mahl genossen“ (= essen müssen).
In einem detaillierten Rechenschaftsbericht von 1969 wurden die Ausgaben auch begründet: „16 kg Zucker, weil der Most etwas sauer war.“
1982 musste ein Nachbar 100 Lei in die Nachbarschaftskasse zahlen, weil er einen andern geohrfeigt hatte. Ein weiterer Hitzkopf erhielt die gleiche Strafe, weil er dem Altnachbarn zwei Ohrfeigen „angetragen“ hatte!

Alle Fragen geklärt! Danke an die, die alles wissen!

Allerdings verstand ich eine Bemerkung im Buch nicht: Der Nachbar XY musste Strafe zahlen, weil er sich weigerte, nach der Sitzung „Urlaub zu geben“. Danke Martin für die Erklärung: Ein vom Altnachbarn bestimmtes (meist jüngeres) Mitglied muss dem Gastgeber den Dank für seine Mühe, Kosten und Arbeit in einer längeren, festgesetzten Rede aussprechen und da manch junger Mann recht schüchtern oder wenig redegewandt war, sich genierte und weigerte die Ansprache zu halten, wurde er mit einer Geldstrafe belegt, es sei denn, er bat den Altnachbarn vorher ausdrücklich, ihn von dieser Pflicht zu entbinden. Nach dem Urlaubgeben um 21 Uhr begann dann am Aschermittwoch der gemütliche, gesellige Teil der Fastnacht und dauerte, wie oben erwähnt, bis Samstag.

Eine weitere Formulierung gab Rätsel auf: Ein Nachbar erhielt einmal eine Geldstrafe, weil er das „Zeichen verdreht“ hatte? Danke Trengi für die Erklärung: Es bedeutete, dass die dringende Nachricht, die zusammen mit dem Nachbarschaftszeichen schleunigst von Haus zu Haus weitergegeben werden musste, durch ein Mitglied ungewollt verändert oder verfälscht wurde. Dann ordnete der Auldnǝber persönlich eine Rückverfolgung an und der Übeltäter wurde mit einer Strafe belegt.
Dazu fällt mir eine Anekdote ein, die mir ein Stolzenburger Landmann erzählt hat: Ein Kind verfälschte tatsächlich einmal eine Nachricht, denn aus: „Maricheni, gǝngk zer Trengemähn ǝnd sǝ: Der Haisväouter X let ze Wäss dän, seng Haismuotter äs gestårwen. Mårren åm Zwei äs de Lech wurde durch das ahnungslose Kind zu: „Trengemähn, Ihr sellt de Wäst undähn, mårren åm Zwei äs de Lech!“

Formales

Es ist festzustellen, dass die Orthographie in den Protokolltexten zwar zu wünschen übrig lässt, sie war aber nicht Gegenstand meiner Betrachtungen und fällt daher aus meiner Sicht hier nicht ins Gewicht. Auch das kalligraphisch Majestätische ist in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts verloren gegangen. Umso bemerkenswerter, dass die ältere Generation bis in die Mitte des vorigen Jh. hinein sowohl die altdeutsche als auch die lateinische Schreibschrift beherrschte, was man an den Unterschriften eines Altnachbarn erkennen kann. Da können wir heute leider nicht mehr mithalten!

Auf das Schlusswort kommt es an…

Wie bedeutsam die Nachbarschaften und ihre Ältesten für die Stolzenburger Gemeinschaft waren, belegt die Bemerkung des ehemaligen Stolzenburger Pfarrers Walther G. Seidner in einem von Gerda Ziegler 2008 geführten Interview, sinngemäß: „Mein Vorgänger, der verewigte Pfarrer Ernst O. Schneider, empfahl mir, mich in allen Belangen an die Nachbarväter zu wenden. Das habe ich auch getan.“

Astrid K. Thal (3. Februar 2024)

Nachbarschaften in Siebenbürgern

Die Volksordnung.

Die Zünfte, als Gesellschaft, bis auf Kaiser Joseph II. reich und wohlhabend durch Erträgnis von Grund und Boden, veranstalteten Festlichkeiten, herbeigeführt durch besondere Ereignisse, die diesen Innungen lieb und wichtig waren. Die Ausgaben flossen aus dem Beutel des Allgemeinen Vermögens, woran ein jeder als Genosse seinen rechtsmäßigen Anspruch hatte. Kein Aufschlag, kein Griff in die eigene Tasche erschwerte oder versäuerte dem Ärmeren den Beitritt oder den Genuß der Lustzeit. Er bekam die Freude umsonst. Wie die Veranlassung zur veranstalteten Freude aus der Zunft hervorging, so flossen auch daraus die Mittel der Bestreitung – aus allen für alle. Was er aß und was er trank, hatte er niemanden zu danken als seinem Stand; es war von dem Seinigen, wenn es auch nicht aus seinem Keller, nicht aus seiner Kammer kam; es kam aus seinem Recht. Jeder war Gastgeber und Gast in einer Person.

Wen dieser Kreis als Mitglied nicht einschloss, den nahm die Nachbarschaft in ihre Kreise der Geselligkeit auf. Man muß die Nachbarschaft in ihrer alten Wichtigkeit nehmen, in der Bedeutung, die sie hatte, ehe die moderne Zentralisation sie um Ansehen und Wirksamkeit noch gebracht hatte – – – nur dann begreift man die Wichtigkeit der Tage, wo die Nachbarväter gewählt wurden, wo Sitzungen, mit Lösungen schwerer Aufgaben, geendigt wurden, wo der Sitztag für ein ganzes Jahr, mit seinen Rechnungen, seinen Gerichten über Gesinde, Kinder, Eheleute, Nachbarn, seine Anstalten für Sicherheit, Frieden, Recht und Gottseligkeit – festlich und feierlich schloß.
Es waren merkwürdige Tage. Da gaben die einzelnen Nachbarschaften ihren Vorstehern, die es durch Nachbarwahl geworden waren, die Instruktion, nach der sie sich zu äußern hatten, wenn sie, mit den anderen Nachbarvätern und Zunftmeistern in ein Ganzes vereinigt, die Kommunität bildeten….

Wie alle Werkstätten zusammen die Zünfte bildeten, so liefen alle Haushaltungen durch die Nachbarschaftsordnung in eine politische Spitze, in ein politisches Ganze aus. Der einzelne Nachbar und Bürger hatte ein Organ, seinen Willen zu äußern, er war sich der Kraft und der Wichtigkeit des Ganzen froh bewusst und fühlte sich darin gehoben, ein Glied dieser Kette zu sein, ein Teilhaber an der öffentlichen Macht; wenn auch nur mittelbar, seine Stimme ward gehört, er hatte das Recht, die Gelegenheit, seine Ansicht geltend zu machen, einmal in der Nachbarschaft als Nachbar, dann als Zunftmann in der Zunft, was durcheinander sich mengend das Privatinteresse einer Zunft oder einer Nachbarschaft darnieder hielt. Die Abschlüsse waren wahrhaftiger, allgemeiner Wille. In eben dieser Ehrwürdigkeit, Unentbehrlichkeit, und Wahrhaftigkeit mag ehemals auch in Deutschland, unserem alten Vaterland, die Anstalt der Nachbarschaften gestanden haben, da der selige Doktor Martin Luther den „guten Nachbar“ zum täglichen Brote zählt.
Die aus einem Brunnen tranken, Brot aus einem Ofen aßen, die die Nachthut füreinander hielten, die sich ihre Wohnhäuser aus gemeinschaftlicher Kraft aufrichteten, in Krankheit und Unglücksfällen den Willen von Anverwandten hatten, die endlich einmal alle auf derselben Totenbank ruhten, die sich einander ihre Gräber gruben, eigenhändig ihre Toten auf den Gottesacker trugen und die letzte traurige Ehre der Leichenbegleitung als eine Gemeinsamkeit erwiesen
– beim Tränenbrote der Geschiedenen Verdienste rühmten und aus nachbarlichem Vermögen und Beruf für Witwen und Waisen sorgten … diese brüderliche Gesellschaft, durch Örtlichkeit bezeichnet, nannte sich die Nahen, die Nachbarschaft . . .

Die Mietsleute kannte das Sächsische Altertum nicht. Junge Eheleute lebten nur so lange bei Anverwandten, bis die Nachbarschaft, in Verbindung mit der Anverwandtschaft und Hilfe der Zunft, dem neuen Immen eine neue Wohnung aufbaute. Alles legte freudig die Hand an. Die Stadtmauer erhielt einen neuen Streiter, die Steuer, welche damals ein Pauschquantum war, einen Teiltrager usw. Was man selbst erhalten sollte aus gemeinsamer Kraft, tat man gerne auch einem anderen; es lag die Bürgschaft darin, man werde es tun auch seinen Kindern. Darum boten die Altvermählten Hand und Fuß als Hilfe den Neuvermählten, Freunde liehen die Wagen; ein Zimmermann fand sich leicht in der Freundschaft, Zunft oder Nachbarschaft. Bald stand das Haus aus unlizitiertem Waldholz usw.

Der Anruf „Nachbar“ war nicht leer; er enthielt ein Bündel Rechte und Pflichten; sagte was im Munde des Gleichen; klang nicht wie Herablassung im Munde des Vornehmen; er war Anerkenntnis gleicher Berechtigung, ein Geständnis der Benötigung, die Parole einer Verbrüderung. Wenn in solchen Zusammenkünften die Männer ihre Geschäfte mit Zufriedenheit beendigt hatten und Zeit und Wille war da, der Fastenspeise des Werktaglebens die Freude als Fett und Bruder aufzugießen, entbot man den Frauen, den Kindern und Regeln. Die Versammlung waren Menschen gleichen Zieles, gleicher Furcht und Hoffung. Ein Leib, eine Seele! Jung und alt war fröhlich! Denn alle hatten Ursache am Beschlusse, froh ein jeder in seiner Art. Die Alten rückten in Gesprächen näher – die Jungen drehten sich im Tanze. Mutter und Vater ergötzten sich die Augen am Kinde. Diese Freude war Lohn eines beendigten Geschäftes, eine Lust am Beisammenbleiben; nicht Lust am Tanz, sondern Tanz aus Lust.

Noch muß ich der Familienfreuden erwähnen und darunter besonders der Hochzeiten, als eines dritten Kreises, worin sich das Leben und die Freude unserer Altvorderen bewegte. Die Zusammenkunft auf Hochzeiten bildeten teils Freunde durch Blut, teils Freunde durch Gemüt, menschenreich und zeitläufig. Es lebte in der Zeit noch der Gedanke, im entferntesten Freunde die gemeinschaftliche Wurzel oder die Verzweigung zu ehren. Um dieses Bewußtsein rege zu erhalten, wurden Familienereignisse mit möglicher Teilnahme aller Angehörigen gefeiert, und langer, langer Kirchenzug war nicht stolz auf viele Leute, sondern auf viele Freunde! Die besonderen Sitten und Gebräuche der damaligen Zeit sind nun abgekommen und leben nur kümmerlich und versteckt, teils auch verachtet auf dem einsamen Dorfe, je entfernter von Städten, je sicherer. Die Sitten und Gebräuche waren aus der Humanität hervorgegangen, dem Festgeber nicht beschwerlich zu fallen.

Eine Hochzeit die acht Tage dauerte, zugebracht, in Scherz, bei Essen und Trinken, Tanzen und Springen, kostete dem Gastgeber, bei vollgestopften Häusern, nicht mehr als jetzt. Wie das kam, wäre wohl leicht nachgewiesen. Der du es aber zu wissen begehrest, frage deinen Großvater und deine Großmutter, wenn sie noch in diese Zeiten hinausreichen. Diese werden dir erzählen, wie die Braut und junge Frau mit Pölstern und Kuchelgeschirr, mit Geld und Hausrat beehret ward, wie die Tänzer die Reihen löseten, wie die Musikanten durch freiwillige Gaben der Tänzer bezahlt, wie Bedienung und Hilfe umsonst geleistet ward usw. Die Esswaren kamen tot oder lebendig, roh oder zugerichtet, gebacken und gebraten, freiwillig und unbezahlt ins Hochzeitshaus. Je mehr Gäste, je mehr Geber. Was Ausgabe schien war Einnahme! Weil jeder wusste, dass er gegeben oder getan hatte, genoß auch jeder im Gefühle seines Anteiles. Beim Abschiede dankte jeder für die mitgenossene Freude und man dankte zurück für den Anteil, für Vermehrung des Glanzes, Vergrößerung der Freude, für Beiträge und Hilfe.
Die jungen Eheleute waren ein halbes Jahr lang in der Freundschaft, bei ehemaligen Hochzeitsgästen, geladene Tischgenossen.

Von dem Verfasser der Zünfte und des Sprachkampfes
Stephan Ludwig Roth 1796-1849
Der Geldmangel und die Verarmung in Siebenbürgen, besonders unter den Sachsen
Druck und Verlag von Johann Gört
Kronstadt, 1843

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