Hochzeit in Stolzenburg

Wie gut, dass diese Aufnahmen gemacht wurden, hier haben wir einen besonderen Schatz: Ein aufschlussreicher Bericht über Hochzeit und Hochzeitsvorbereitungen in Stolzenburg.
Die Sprecherin ist vermutlich Frau Anna Kohl geb. Thal.

Wer kann genauere Angaben zu dieser Aufnahme machen?

Aufnahme aus dem Schallarchiv der in Rumänien gesprochenen deutschen Mundart des Linguistikinstituts Bukarest aus den Jahren 1966-1975 Quelle https: //www.siebenbuerger.de

Et wor emol in Stolzenburg: Einige Gedanken rund um Heirat und Taufe

 

Åf de Gåss gǝhn ich, ruit Paputschen drǝn ich, woi mich setj, doi weall mich hun, åwer hëi wid mich niët bekun… ist das erste Verslein, das ein Kind in Siebenbürgen lernt und „aufsagen“ kann.
   Neben åf de Gåss gǝhn…fällt mir der Ausdruck än de Gåss gǝhn ein, was bedeutet, dass ein Gruißknëicht einer Gruißmeid den Hof macht. Hëi goiht zem Kathi än de Gåss“ bedeutet also, sie ist sein Lewken (Liebchen). Und wenn sich die zwei nach ausgiebigem än de Gåss gǝhn einig sind, werden sie heiraten, wenn im Keller der Wein im Leijeln (Fass) reif ist. Vorher steht aber det Hoischen an: Der junge Mann hält bei den Eltern des Mädchens um ihre Hand an (wörtlich: heischen, von Althochdeutsch heiskōn = fordern, fragen, auch verwandt mit dem Englischen „to ask“= fragen): Mit einem roten Seidentuch als Geschenk für seine Zukünftige begibt sich der Heiratswillige zum Haus der Brauteltern und spricht:
   „Gäden Ĕwend, verzauht, Ihr law Letch, wel ech Ihr Hais hu betrǝdden. Et äs vun Guott esi bestämmt, dat en Maintsch alloin net lëiwen kǝnn. Esi häǝt mich der law Guott un Ihr Dǝchter u’gewiesen. Nä bän ich kun, Ech ze bidden, äǝf Ihr et (det Kathi) mer weällt gëin, 1. zer Bretch, 2. zer Frau uch 3. weall ich et oihren uch scheitzen bäs un’t Uontch auses Lëiwens. Esi weall ich fleißig gebådden hun.“ Für die weniger Redegewandten steht eine kürzere Version bereit, die gleich zum Punkt kommt: „Et wid Ich (Euch) woihl bewåsst sen, wåråm ich ku bän: åm Ihr woihl erzǝjän Dǝchter (…um eure wohlerzogene Tochter…) wūl ich bidden, 1. zer Bretch, …“ usw. wie oben.
   Nach dem Einverständnis der Eltern folgt die Verlobung, dǝt Bretchverdrainken (wörtlich: Braut(ver)trinken) und eine Woche vor der Hochzeit das Ruofen, also das persönliche Einladen aller Gäste durch das Brautpaar, von Haus zu Haus gehend, selbstverständlich in der kleidsamen Stolzenburger Tracht: die Braut mit Schoin Keddel und der Bräutigam mit dem Gepäschken auf dem Hut, in dem ein paar kleine Spiegelbruchstücke zwischen den bunten Kunstblumen des Sträußchens glitzern, stets ein Blickfang für uns Kinder. Dass die beiden ein Brautpaar sind, erkennt man an den roten Schleifen, die in Falten gelegt, vorne links auf dem Laibchen der Braut bzw. dem Laibel (Weste) des Bräutigams prangen. Jeder im Dorf will einen Blick auf das „stattliche“ Paar erhaschen: die Kinder ungeniert am Straßenrand stehend und die Erwachsenen am Fenster oder diskret hinter den Schalǝuen (Jalousien). Was uns Kinder besonders fesselte, war das Spanesch Roihr (eine Art Reitstöckchen aus Bambus o. Ä.), mit dem der Bräutigam an jede Haustür klopft, bevor das Paar eintritt und die Einladung zum Ehr- und Freudenmahl ausspricht: „Aus Åldjer luossen Ich (Euch) en gäden Däouch sǝn and bidden Ich, uch doilzenëihn un ausem Oihr- uch Fraudemǝhl hetch än er Wäouch äm Saal!“ In der Woche vor dem großen Ereignis wird geschlachtet, fleißig gekocht und gebacken, während die Mädchen und Freundinnen der Braut einen Wäschekorb voll bunter Blumen aus Krepp-Papier basteln, denn jeder Hochzeitsgast möchte sich ein Roisken anstecken können, die kleinen Jungen sogar zwei!
   Noch mehr Beachtung erhält schließlich der lange Hochzeitszug eine Woche später mit Marschmusik der „Bandisten“/Schrammel/Adjuvanten auf dem Weg zur kirchlichen Trauung. Schlusslicht des Hochzeitszuges bilden die zwei von den Vorbereitungen erschöpften „Hochzeitsmütter“ (die Mütter des Brautpaares).
   Nach der Trauung folgt det Gǝwen, bei dem praktisch das ganze Dorf im weitläufigen Hof des Hochzeitshauses als Zaungast beobachten darf, was bzw. wie viel jeder Gast schenkt und wie gerührt das Brautpaar, flankiert von den Bretchfrauen (Ehefrauen der Trauzeugen), der Rede des „Wortmannes“ folgen.
   Letztes highlight der Hochzeit nach ausgiebigem Essen, Trinken und Tanzen stellt das „Bortenabnehmen“ um Mitternacht dar: Der Bidderknëicht (bester Freund des Bräutigams oder ein Cousin des Brautpaares), hat nicht nur ständig aufgepasst, dass die Braut nicht entführt wird, sondern er hält nun eine (feststehende) Rede, in der sogar „doi gruiß“ Dichter Friedrich Schiller zitiert wird: „O, dass sie ewig grünen bliebe, die schöne Zeit der jungen Liebe…“, während man im Lied der Freundinnen der Braut „Ihr Meidcher, schleßt de Rauh‘n…“ ein altes deutsches Wort in seiner ursprünglichen Bedeutung entdecken kann: Saht, wa da äourem Doiren schraut, sa schraut, … (Dirne, norddt. Deern = Mädchen).
   Es folgt der Gångfrauenrauhen, eine willkommene „Einnahmequelle“ für den neugegründeten Hausstand, denn nachdem jeder männliche Gast ein paar Takte mit der jungen Frau (nun nicht mehr mit Borten auf dem Kopf, sondern mit Spitzenhaube, „Pippihäubchen“ genannt) tanzt, muss er ein paar Scheine in die bereitgestellte Porzellansuppenschüssel des Paares legen.
   Nach der Hochzeit nennt der Vater der jungen Frau seinen Schwiegersohn stolz meng Oidem (altes deutsches Wort: Eidam). Dieser wiederum spricht von seinem Schwiegervater respektvoll als meng Schwijerhårr, also „mein Herr“, während die Schwiegermutter kurz und knapp dǝ Schwijer heißt. Die Schwiegertochter hingegen ist dǝ Schnirich (vom alten deutschen Wort „Schnur“).
   Wenn das erste Kindchen da ist, kriegt es ba der Dǝuf, bam Doifen mit anschließender Kaimes (v. dt. Kirmes) mehrere Taufpaten zur Seite gestellt, de Påten uch de Gǝden. In der Kindersprache ist die Patentante heute noch dǝ Godi, übrigens auch in Süddeutschland als „das Godl“ bekannt. Sogar Englischer Verwandtschaft können wir uns rühmen, denn dort heißen die Taufpaten Godfather und Godmother. Sie begrüßen das Kind mit den Worten:
   „Auser Härrgäoutt erhault det kloin Wiërmchen ǝnd schink ǝm dǝ Gesangdhoit, uch sengyen Åldjern uch Groißåldjern, damät sǝ ǝt än der Fuorcht Guottes gruiß meijen zahn!“….
   Es wird ein guter Start ins Leben für det kloin Wiërmchen, wenn sich sechs oder gar acht Taufpaten um die Dǝufbitt (Taufbecken) versammeln! Beim Gang zur Kirche heißt es: En Hoiden drǝn mir, ein Krästen broingyen mir. Und nach der Taufzeremonie logischerweise: En Hoiden hu mer gedrǝn, ǝn Krästen hu mer breicht.
   So ausgestattet, mit Gottes Segen, guten Wünschen und Geldgeschenken: „Wuot boingje mir ǝm än? (wörtl. „einbinden“ = was schenken wir ihm? Von „Angebinde“?), kann das „Würmchen“, das nun kein Heide mehr ist, sondern ein Christenmensch, wohlbehütet aufwachsen. Die junge Mutter wird mit dem Kuotschegeild (Windelgeld) bedacht und auch die Hebamme wird nicht vergessen: Die Uomfrau (wörtl. Ammenfrau) erbittet den Wäjekrezer (wörtl.: Wiegenkreuzer) „aus dem Segen des Herrn“, sprich aus dem Geldbeutel der Gäste, nämlich für ihre Hilfe bei der Geburt und während des Wochenbetts, also äm Krǝ:m. Andere Befragte meinen, Kuotschegeild und Wäjegeild/-krezer sind ein und dasselbe.
   Was aber bedeutet das veraltete, aus der Zeit gefallene deutsche Wort „Gevatter“? Heutzutage und hierzulande ist höchstens der Begriff „Gevatter Tod“ bekannt, seltener auch „Gevatter Fuchs“. Wir Siebenbürger jedoch wissen, dass der Gevatter/die Gevatterin das Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Paten und den Eltern des Täuflings sowie den Paten untereinander bezeichnet. So sprachen sich diese früher auch an, nicht mit dem Vornamen, sondern: Dä Gevådder, häǝst tǝ schoi gehoirt…? (Gevatterin, hast du schon gehört?), übrigens auch im Siebenbürger Deutsch: „Na, Herr Gevatter, wie geht’s?“.
   Anmerkung: Auch dieser Text erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, er soll nur anregen zum gemeinsamen Erinnern und miteinander ins Gespräch kommen!
   Weitere Details zu diesen Themen s. auch „Kirchen- und Festtracht in Stolzenburg/Siebenbürgen“ von O. Rothbächer, E. Kanz, 2008, sowie „Die Gemeinde Stolzenburg in Siebenbürgen“ von M. Hihn, 2020, und Website: stolzenburger.de.

Astrid K. Thal, geb. Schneider, August 2024

Foto: 1. Brautpaar, Pfingsten 1983 (Foto A.K. Thal)
2. Das „Gaben“
3. Gebockelte Taufpatinnen mit Täufling, vor ca. 50-60 Jahren (Fotoarchiv A.K.Thal).

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