Stolzenburger Mundart

 

Sprachliche Leckerbissen aus Stolzenburg. Erster Teil

Es waren nicht die biblischen Vögel des Himmels, die mir schon wieder ein paar originelle Ausdrücke aus unserer Stolzenburger Mundart zugetragen haben. Es waren menschliche „Vögelchen“, die erneut einiges gesammelt hatten in ihren mitteilsamen Schnäbelchen: War es ein Fichǝnäouchen (Meise?), ein Patcharus oder Zaiku (Eichelhäher), ein Ciuvickchen (Käuzchen), ǝn Krîă, ǝn Sprîă uch ǝn Zaisken (Krähe, Star und Zeisig)? Oder gar ein Zeongschläpper (Zaunkönig)? Ab und zu kam auch eine Buha (Eule) vorbeigeflattert. Manchmal war es ein fleißiges Bisǝbauchen (Bienchen), ein Flutter (Schmetterling) oder ein Brummer (Hummel), die im frühen Frühjahr auf den leuchtendgelben Guodeloiskern (Huflattich) im Garten hinter der Scheune saßen.

Ich googelte kürzlich „Patcharus“ und erfuhr, dass es ursprünglich ein indisch/malaiisch/thailändischer Vorname ist. Bei uns in Siebenbürgen sitzt er nicht nur in Michelsberg in den Kirschbäumen. Innerhalb unserer Gemeinde variieren die Bezeichnungen: Einige kennen den Eichelhäher als Zaiku, andere als Patcharus und einigen sind beide Bezeichnungen geläufig.

Danke an alle, die über diese halbvergessenen Ausdrücke stolpern und uns alle daran teilhaben lassen. Auch mir fallen täglich Wörter und Wendungen ein, die wie zufällig aus den hintersten Schubladen des Gedächtnisses herausrieseln:

Äbrah (Mehlschwitze), äm Auren (Erntezeit), Bäjeltchen (Schulheft), Bäwendämmes: Zwischenmahlzeit am Nachmittag, bei der die Reste des Mittagessens verzehrt werden; Bîărten (der Borten), de Buort (gewebte Gold-/Brokatborte); Bunzker (Ferkel), äm Ëiren (auf dem Fußboden), Fraas (Schüttelfrost), Friseln (Masern), Fruonsen (Trachtenbänder) nicht zu verwechseln mit „Fransen“; Gåller: Kragen, rumän. guler, ungarisch gallér, englisch collar; Gebinn (Zimmerdecke), Gedaiß = Kleidungsstücke, etwas), gröberer Ausdruck für das aus der Mediascher Gegend stammende feinere Ugedeaßel; nă Gemirk (nach Augenmaß, nach Gefühl),
det Gekaingzel = die Kinderschar, den Ausdruck benutzt man, wenn man leicht genervt, neudeutsch gestresst ist; Gesästerkaingd (Cousin: „der Kusin“, Cousine: „det Kusintchen“), Glätscheisen (Schlittschuhe), strimpich Hëinen (Hühnerrasse mit Federn an den Füßen); äm Krîăn (im Wochenbett), Kram (Sau), Mäouraisen: wörtl. Moor-Eisen, meist H-förmige Vorrichtung aus Eisen vor dem Hauseingang im Boden befestigt, an der man vor Betreten des Hauses den Morast der Straße von den Schuhen abstreifen konnte; Mätblaiwen (Konfirmation), ba dǝ Mäǝsern: bei den Soldaten, beim Wehrdienst; Litzel: Bindfaden, Paketschnur, von lat. licium, deutsch Litze: Band, Geflecht zum Verzieren, Besetzen von Kleidungsstücken; Loihr (Konfirmandenunterricht, Lehre), Oisken (Pickel, auf der Haut!), Poitasch (Kumpel?), Pujelar (Geldbörse), Quartoir (Unterkunft), Schlacha (Schlaganfall), Stanitzel, Tock (Tüte), Uomfrau (Heb-amme), Tschippcher (Küken), Tuistert (1. Umhängetasche, 2. Depp) sind nur eine relativ kleine Auswahl.

Ein Ausdruck, den ich so gut wie nie gehört habe, ist „Kräoudǝkuotsch“. Es handelt sich um den Kröten-/Froschlaich, der wie ein trüber Film im Frühjahr über Teichen und Weihern hängt. Von da ist es nicht weit zu „zäkuotschen“ = zudecken, dem „Gekotschzel“ (Bettdecke, -wäsche) und zu den „Kuotschen“ (Windeln).

Von mir vollständig vergessen war der Begriff „Blaufåder“. War es der Bleistift, der Federstiel oder der Tintenbleistift? Letzteren musste man erst befeuchten, meist anlecken(!), damit man damit dokumentenecht – wie mit Tinte – schreiben konnte. Das war zu einer Zeit, als es noch keine Kugelschreiber (Piks) gab und nicht jeder Geld für eine Feallfåder (Füllfeder) hatte. Zur Blaufåder gesellte sich gern auch das „Bäjeltchen“, womit weniger ein Büchlein sondern vielmehr das Schulheft gemeint ist.

Völlig fremd war mir auch der Begriff „Floischlåtår“, wörtlich Fleischlaterne. Danke für dieses neue Wort! Es ist eine Art Kühlschrank aus vorelektrischer Zeit: ein ausrangierter alter Schrank wird mit einem Fliegengitter in der Türe versehen. Dies dient der Luftzufuhr, hält aber auch Ungeziefer und Mäuse fern. Er stand meist draußen im Schuppen (oder auf dem „Aufboden“?) und diente zum Aufbewahren und Kühlhalten von Fleisch und anderen Nahrungsmitteln. Falls das nicht ganz korrekt erklärt ist, bitte ich um Richtigstellung.

Hingegen ist mir „en Flǝur mät er Hink“ (wörtlich: Dreck mit Henkel) durchaus bekannt: das sagte meine Mutter immer dann, wenn ich unerfüllbare Wünsche äußerte. Ursprüngliche Bedeutung des Tätigkeitswortes „flǝuren“: „De Kåtz häǝt åf den fräsch geweischänen Teippich geflǝurt!“ also wenn man sich etwas gewählter ausdrücken wollte. In eine ganz andere Richtung gingen allerdings „dǝ Flǝuren“: Es waren die wunderschön buntgestickten abnehmbaren Manschetten für das Trachtenhemd der Frauen. Eigentlich waren sie überflüssig, da die Ärmel selbst bereits mit einer gereihten und bestickten Bordüre am Handgelenk versehen und die „Flǝuren“ nur noch eine luxuriöse Draufgabe waren, wohl um Fleiß, Geschicklichkeit und Wohlstand der Trägerin zeigen zu können?

Und wenn ich mich sonntags „richtete“ (herausputzte), um mit den Freundinnen auf der Reußener Straße zu flanieren, also „spazaren“ zu gehen, dann meinte meine Mutter kurz: „En Fädderwäsch än Hoingdern!“(es fehlt nur noch ein Federbusch im Hintern).

Wörter, über die Nicht-Siebenbürger („Reichsdeutsche“) verständnislos den Kopf schütteln, grinsen oder auf die falsche Fährte gelockt werden, wären etwa:

Augenspiegel, Autostopp, Bandisten, das Brautvertrinken, Brustbild, Brustpelz, Motorin, Piserwasser, Puffärmel, Pippihäubchen, Wichsleinwand. Die Liste ließe sich (fast) unendlich weiterführen.

Viele Ausdrücke sind selbst im Hermannstädter Sächsisch unbekannt und nur auf dem Land gebräuchlich, z. B. äougeschainzelt, ägebuddert, gur (alle), klantschig, mutschlich, måddich, tråckesen, Baulen, dǝ Bång, Bechen (große Wäsche im Freien), Friseln, Kaimes (Tauffeier), Loihr (Konfirmandenunterricht), Pändel (Rock, Unterrock), Poitasch, Quautsch, Schalăuen, Schluppesupp, Schoifhuǝt, Zitzenhaulder u.v.m.

Hingegen sind neppǝkrittich, gohmern und schemmern (evt. von ungar. sömörön?) siebenbürgisch-sächsisches Gemeingut und sogar bei jungen Menschen (zumindest spaßeshalber) gebräuchlich, auch wenn sie, trotz siebenbürgischer Wurzeln, selbst nicht (mehr) Sächsisch sprechen.

Schwierig hingegen wird es bei: åldoirest, åldoirent, åldäckest „dertais“, „fricht dich!“, „giënst“, „keiniff“, „meihr wonoi“, „meihr nuor“ „niët ze fuodder“, “nå, wa niët?“, „nå drîă“, „oist“, „piha“ (igitt!), „tchiha!“ (wow!) oder „räck moi åmmen!“?

Und wer kennt den Unterschied zwischen: „naa“, „nå“, „nä“ oder etwa zwischen nîǝ (nach UND nahe), dîǝ, wîǝ, woi, doi? Wer errät die Bedeutung der unscheinbaren aber wichtigen Wörtchen „ha“, „wa“, „ba“, „da“? Wohl nur ein „echter“ Stolzenburger, nur eine „echte“ Stolzenburgerin!

Eine weitere – winzig kleine – Auswahl aus unserem originellen Wortschatz finde ich in meinen zahlreichen Notizen und möchte sie euch nicht vorenthalten:

ägebuddert, ägebeddemt, äougeschaingzelt, aurschlich (rückwärts, ärschlängs), beschmuddert, brimmig, bespeiteln, betrepst, eipǝsch, fauseln, frongdern, gefenstert (kariert), hat nichts mit dem bayerischen „fensterln“ zu tun; glaanich, gårz, Gech, geperjschelt, Grunnen, herrǝsch (gekleidet), kaptschullig, klantschig, måddich, mutschlig, oilätzig, oinǝsch, palaukesch, proipeln, et reinzelt, et schnauzelt (hat nichts mit Schnauze zu tun, es handelt sich um leichten Schneefall!), schmuggeritzig (mager, schwächlich), schwibblich, spräoungkes, tråckesen, unzäckig, verhuddelt (im Kopf), verpuddert, verkräppelt, verschmeißen, zegräscheln, zuntjeln, zesummengebreddelt.

Ich möchte betonen, dass ich nicht auf alle aufgelisteten Wörter den „Stolzenburger Monopolanspruch“ erhebe. Ob und ggf. welche Begriffe ausschließlich Stolzenburg zugeschrieben werden können, wäre für Mundartspezialisten interessant. Ich bin nur Mundart-Konsumierende, -Betrachterin und Wortesammlerin. Ich erfreue mich auch am Ober- und Niederbayrischen, am Fränkischen, noch mehr am Plattdeutschen (Fritz Reuter lässt grüßen!) oder am lebensfrohen Kölsch. Alle Mundarten interessieren und faszinieren mich.

Weitere Kapitel werden folgen, wuon auser Härrgäout healft, dat ich lëiwen und gesanģtch bän:
Eine Auflistung der Schimpfwörter, der Spitznamen und einer kleinen Sammlung von Redewendungen.

Bemerkenswert ist auch, dass es innerhalb der Gemeinde Unterschiede in der Verwendung verschiedener Begriffe gab: Bezeichnungen, die in der Niedergasse und Åf der Zïell Gang und Gäbe waren, kannte man in der Angler- oder Obergasse nicht und umgekehrt: z. B. die Zinnebäckeltchen, Patcharus und Zaiku!

Eine kennzeichnende Redewendung, die soziale Unterschiede und ein tief verwurzeltes Konkurrenzdenken ausdrückt, hörte ich vor Kurzem und möchte sie hier erwähnen: Einige Leute stammten von der reichen Dorfprominenz ab, d. h. sie waren nach eigenem Bekunden: „Liëtch vu Liëtjen“ und demnach keine „gewöhnlichen“ Menschen.

Unter den Reichen selbst war das Wetteifern und der Geltungsdrang noch ausgeprägter: Als sich Johann Plattner (1854-1942), der jüngste Spross unter den sechs Kindern der Familie Michael und Anna Plattner geb. Siewert, im Jahr 1897 für die vakante Pfarrstelle in seiner Heimatgemeinde Stolzenburg bewarb, stellte Martin Hallmen („der an der Straße“) prompt einen Gegenkandidaten bei der Pfarrerwahl auf und begründete dies so: Warum soll ein Plattner denn „mehr sein“ (= mehr gelten) als ein Hallmen?

Astrid K. Thal (16.03.2023)

Die Stolzenburger Mundart – Zweiter Teil

I.

Ich bin eine Wörtersammlerin

Nun haben mir Stolzenburger „Vögelchen“, darunter eine Mäsch (Spatz), eine Pupăza (Wiedehopf), ein Moisken (Meise) und ein Flutter (Schmetterling) wieder ein paar originelle Ausdrücke verraten: So erfuhr ich, dass der Huflattich in Stolzenburg nicht nur liebevoll Guedeloisken genannt wird, sondern auf Rumänisch „curul găinii“ (Hühnerhintern) heißt.

Wie konnte ich aber beim Stolzenburger Blumenstrauß (mein Beitrag vom November 2022) die Häouseblämen (wörtl. Hasenblumen) vergessen? Es sind die Schlüsselblumen, andernorts auch Himmelsschlüssel genannt.

Auch wurde gerätselt, ob es nun Armarei oder Almarei ausgesprochen wird: nämlich dieses mit Hibiskus-, Granatapfel- und anderen Blüten schön bemalte Möbel, hinter dem der Bauer (der Gebaijer) in einer Nische des dicken Gemäuers seines jahrhundertealten Elternhauses den Pali (Schnaps) und ähnlich Wertvolles „versorgte“. Vielleicht kann jemand aufklärend helfen?

Einig war ich mir mit meinem telefonischen Gegenüber über den „Kållerschaulz“ und dankte ihm für dieses wunderbare, nun wirklich vollkommen vergessene Wort. Und wer weiß, was die „Dăufbitt“ ist? Oder ein Birreguoisken? Ich verrate und übersetze nichts. Fragt bei euren älteren Verwandten nach, die werden euch die Begriffe erklären. Auf jeden Fall bin ich dankbar, dass meine Stolzenburger Freunde und Bekannten mit mir die Leidenschaft des „Wörtersammelns“ teilen und bewusst über unsere Mundart nachdenken, vielleicht auch in der Hoffnung, ihrem Untergang ein wenig entgegenzuwirken.

Auch stimmten wir überein, dass ein Mäschemiël (wörtl.: Spatzenmund) etwas sehr Unangenehmes ist und man es kriegt, wenn man hinter jemand anderem aus dem gleichen Glas oder der gleichen Tasse getrunken hat.

Da wir nun die Stangenbohnen im Garten gesetzt haben, brauchen wir auf jeden Fall Fusuoiǝstëiwel. Danke M., dass du mich daran erinnert hast. Denn ohne Stëiwel ist die Stangenbohne keine Stangenbohne.

Ganz dunkel erinnere ich mich auch an die Wåsserboim, mit denen man zu zweit große Mengen Wasser im „Schåff“ tragen konnte, ohne zu ermüden.

Wie das mit der Hack, der Heichel, der Kratz, dem Weirk, dem Fiëmel und dem Hunzem aussieht, hat M. versprochen, mir ein andermal zu erklären, noch ist ja der Hunnef (Hanf) nicht reif zum „Rösten“, also zum wochenlangen Einweichen im Bach. Dieser Bach also, der bei Starkregen und Wolkenbrüchen ganze Brücken und Gärten wegschwemmen konnte, war also doch auch zu etwas gut: Zum Hanfrösten! Nicht zu vergessen, dass man in strengen Wintern, und das waren sie in meiner Kindheit noch, auch Eislaufen konnte auf dem gefrorenen Rinnsal. Mit den alten Schlittschuhen, Glätschaisen genannt, die man an jeden Bokantsch (rumän. bocanc, =Winterschnürschuhe) anschnallen konnte, bevorzugten wir eher den hartgefrorenen Abhang in Danielis‘ Garten, da ging‘s den Schulhof runter, am Brunnen vorbei bis zum Schultor. Zum Rodeln aber eignete sich besser der „Farreschrauhen“, rumänisch „hula popii“ genannt, also der Hohlweg zur Burg. Mit viel Schwung („ich nëi mer en Dräft“) von ganz oben konnte man unten angekommen sogar die Brücke überqueren und kam erst im „Schanz“ (Straßengraben) vor der damals schon recht befahrenen Landstraße zum Stehen. Einige besonders Mutige sollen sogar die Straße überquert und im Tor der dicken Baurǝmähn gelandet sein, aber ich glaube, das ist nur ein Gerücht…

Verschiedener Meinung waren wir beim Fichenäou: Ich wusste, dass Fiechen die Kurzform von Sophie ist und außerdem die Meise, wurde aber eines Besseren belehrt: Die Meise sei das Moisken und Fichenäou ist lediglich eine faule Person: Fichenäou, häouste gespånnen? Der Suommer kit! Läft dich, Putoare!

Wollte man dieselbe vom Hof jagen, rief man ihr hinterher: Nomm deng hodrobele uch deng catrafuse ǝnd ruomm dich! (Nimm dein ganzes Gelump und räum das Feld/hau ab!).

Bei einem bestimmten Wort kann man im Gespräch mit gebürtigen Deutschen („Reichsdeutschen“) leicht aufs Glatteis geraten: tåtterich. Bei uns Sachsen charakterisiert es einen besonders aktiven, emsigen, tatenreichen Menschen. Im umgangssprachlichen Deutsch hingegen ist es eine Krankheit: Er hat den Tatterich (=Zittern der Finger, Hände). Jetzt weiß ich auch, warum mir meine Kollegin, eine gebürtige Deutsche, vor dreißig Jahren erstaunt zuhörte, als ich ihr erzählte, wie tatterich (=aktiv!) doch meine Mutter früher war…

Über den schönen Vornamen Katharina-Kathi-Trengi habe ich in einem früheren Beitrag (Ein Stolzenburger Blumenstrauß zum Kathrengenäouch, November 2022) ausführlich nachgedacht. Und was ich zum Vornamen Agnetha herausgefunden habe, möchte ich euch auch nicht vorenthalten:

Altgriechisch: hagnos= rein, keusch, unbefleckt, heilig; Lateinisch: agnus = das Lamm. Beim Durchforsten und Vergleichen verschiedener Namenslisten in Verbindung mit der Deportation 1945 in die Sowjetunion habe ich festgestellt, wie häufig der Vorname Agnetha vorkam. Demnach muss er besonders in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts richtig in Mode gewesen sein.

Dass man früher zu Agnetha nicht nur Nick, Nicki sondern auch Noith sagte, ist wohl auch – wie so Vieles – in Vergessenheit geraten. Und wenn die Agnetha in die Stadt übersiedelte, dann wurde aus ihr die Nicktant so wie aus der Trengemähn die Trengtant wurde.

Nicht besonders charmant werden Stolzenburger, wenn sie Spott- und Schimpfwörter verteilen: angefangen mit der noch harmlosen Podoaba, Săracuchen, Meirenzoicker, Melläoufen, Luolă, Papălapte (= Waschlappen, Milchbubi, wörtlich aus dem Rumänischen übersetzt: Er „isst“ Milch), Toistert, Trittmerdråf (Tolpatsch), Luolă, Păhuiă, Pustăhală, Pustalău, Pudderhäx, bis hin zu: eiländ Zådder, Schnäffelz, Bäschti (Bestie), Măcălău, lichter Boingjel, Betchar (ungar. Betyar), Purligar, Schämpes, Schauselt (Scheusal), Schkabänz, Căcată, Putoare, Corcitura, Jigodje und Mistvieh. Auch kommt es vor, dass man mit dem „frommen“ Wunsch bedacht wird: „Dat diëch dǝr Fraas!“, „hǝl dich de Schlacha“. Man schimpft vorzugsweise in der Fremdsprache, die versteht unser Herrgott nämlich nicht, da er nur Sächsisch spricht.

Wir sollten aber gerade trotz der derben, allseits bekannten rumänischen Flüche nicht vergessen, dass es gleichzeitig die Sprache ist, in der Frauen heute noch mit „Săru-mîna“ gegrüßt werden. Ich bin auf meine alten Tage fast rot geworden vor (angenehmer) Überraschung, als ich bei meinem letzten Siebenbürgen-Aufenthalt beim Einkaufen mit „Küss die Hand“ angesprochen wurde.

Drohungen wie „Ich gëin dǝr oint wiëder dǝt Hoift“, „Red or sch…ß Beauchstäowen!“, „Ich schlăn der de Zuoingtch än Haulz“, oder das derb-vulgäre „Schwech dä, år ich sproingyen än dich!“ wurden nur selten und von heranwachsenden und kräftemessenden Jugendlichen gebraucht…

Was Åf-peiltchen, mät Autostopp, Åfwäschzådder, Äouweischzådder, Baibes, Fälpes, Gedaiß (in der Mediascher Gegend: Ùgedeaßel), Gepäschken, Gehitsch, Graweschårr, Gräouser, Håttertnårr, de Heitzel, Laimel, Mächoilsdäouch, Motorin, de Pipp, „äm Strand“, de Wårr, Zuckerchen, goibzen, hårt, schickeln, spräounkes, schwibblich, und zurpen bedeuten, findet die junge Generation sicher heraus, wenn sie Eltern und Großeltern fragt! Fragt, solange noch Zeit ist…

Übrigens, viele weitere, ausgewählte Begriffe sind im vorigen Beitrag zur Stolzenburger Mundart vom 16.3.2023 (s. Stolzenburger homepage: Sprachliche Leckerbissen aus Stolzenburg) zu finden.

II.

Die Schwierigkeiten bei der Schreibung im Stolzenburger Dialekt

Dieser hat vergleichsweise ausgefallene Laute und häufig Triphthonge (drei Vokale hintereinander: Fäousnicht, Bäouch, Bäourich, Däouch, Deauch, etc.), daher ist es nicht einfach, die genaue Lautung wiederzugeben. Gleichzeitig möchte ich die Schreibung an die deutsche anlehnen, um das Lesen und Verstehen zu erleichtern.

Der Bîărten – de Gälde Buort

Den „Borten“ zum Beispiel (der zylinderförmige, oben offene Samthut der konfirmierten Mädchen) kann ich nicht mit einem „ü“ schreiben, weil hier kein „ü“ gesprochen wird. Es ist eben der „Bîărten“, auch wenn uns diese Schreibung nicht gefällt. Es gibt nun mal im Stolzenburger Dialekt viele „î“s und „ă“s, ähnlich dem Agnethler Dialekt (und dem Rumänischen), während diese Laute in anderen Dörfern und erst recht im Hermannstädter Dialekt (Allgemeinsächsisch) überhaupt nicht vorkommen.

Den „Bîărten“ sollte man übrigens nicht verwechseln mit den fast gleichklingenden Buorten, was gewebte Bänder aus Brokat, Gold- und Silberfäden bezeichnen. Die Fruonsen hingegen sind – glaube ich – die dünneren Bänder und im weiteren Sinn auch ein Sammelbegriff für alle Trachtenbänder und Schleifen.

Auch die Schreibung von „det Schäpp“ (Jacken- oder Hosentasche) ist streng genommen falsch, weil es kein „sch“ sondern der Laut im französischen „Jargon“, „Jardin“ ist. Wäre demzufolge „det Jäpp“ die Lösung? Auch nicht. Schwierig. Ich bin dankbar für Vorschläge.

Die Tücken des Mundartschreibens

Auch ich bin zwar eine begeisterte Mundartschreiberin, jedoch werde ich mich hüten, je auf Sächsisch einen Satz mit „sau esi gät…“ anzufangen, sehe ich doch im ersten Wort, wenn auch Klein geschrieben, noch immer das weibliche Hausschwein, selbst wenn ich weiß, dass „sau“ nur der „harmlose“ Imperativ von „sein“ ist, während die deutsche Sau auf Sächsisch immer noch „Kram“ heißt. –

III.

Na, wat wällt te Stibbes, Hanklich oder Hībes*?

Bezüglich des Hoibes (s. Text zum Stolzenburger Winterlied, SZ v. 20.02.2023, S. 24) muss ich mich korrigieren und gleichzeitig bei den Lesern entschuldigen: Der Hoibes (Allgemeinsächsisch: Hībes) wird in Stolzenburg nicht mit „Grawen“ (Grieben) zubereitet. Es gibt sogar zweierlei Hoibes: einen mit und einen ohne Hefe. Mit Grieben werden die „Pogatschen“ und die „Graweschårr“ zubereitet.

Auch habe ich in Gesprächen mit Landsleuten festgestellt, dass viele das Wort Zinnebäckeltchen (ebenfalls im Winterlied, SZ 2/2023) nicht kennen und behaupten, die schwarzen Flocken und Funken , die bei einem Holzfeuer entstehen, heißen „Zegunnen“. Man könnte fast denken, de Nedderschten (Niedergasse, Zeile, Trajemänt, Häoundsbäouch und Glodaren) sprechen eine andere Sprache als die Angler- und die Obergasse. Die Kirchgasse lassen wir mal außen vor, weil die spricht beide Sprachen!

Stolzenburger Mundart: Schräǝjen, Schrǝtes uch Scheichtert

Ein flüchtiger Blick in die bäuerliche Wirtschaft

 

Ob es nun Ålmerau oder Årmerau heißt – darüber kann gestritten werden. Es handelt sich jedenfalls um das mit stilisierten Blumenmotiven bunt bemalte Bauernmöbel, das früher in der Vädderstuww (vordere, „gute“ Stube) die Wand schmückte und hinter dem der Haisväouter, also der Hausherr, in einer Nische im dicken, jahrhundertealten Gemäuer den Pali (Pflaumenschnaps) versorgte. Später, als man sich von Krieg und Enteignung etwas erklaubt hatte, landeten die Almerei und auch die meisten anderen Bauernmöbel, z. B. det hui Beit (das „hohe Bett“) oder de Rëihm (Tellerbord) mit den alten bunten Tonkrügen und -tellern, de Kräjeltcher uch de Schaiwker, im besten Fall åf der Stuww (Dachboden), weil sie inzwischen zu auldvauteresch (altväterlich = unmodern) für die neue Inneneinrichtung waren.

Wenn nach vollbrachtem Tagewerk die Betglocke läutet und auch das Vieh im Stall versorgt ist, hat der Bauer endlich Zeit, sich zusammen mit seinem Nachbarn, dem Gevåtter, auf der alten Lehnebǝnk unter dem Maulbeerbaum dem hochprozentigen Inhalt der Almerei zu widmen und einen zufriedenen Blick über sein stattliches Haus mit dem kürzlich iwwerstijänen Däǝch (neugedecktes Dach), den Hof mit Scheune, Stall und Geräteschuppen wandern zu lassen:

    In der Scheune, än der Schaier hängt die Sense mit neu eingesetztem Seinzewurf (Stiel) und wartet auf ihren nächsten Einsatz bei der Mahd auf der großen Wiese Richtung Großscheuern. Das fertige Heu wird an Ort und Stelle in Schëiwern und Kloingen oder länglichen Drästen (versch. Heuschober) aufgebaut und nach und nach in die heimische Scheune abtransportiert: än de Dänn (Tenne) eingefahren und gleich rechterhand hinauf auf den Stall/Heuboden verfrachtet, von wo es bei Bedarf durch de Schläǝch (Falltür) direkt hinunter zur Futterkrippe gelangt. Auf der anderen, der linken Seite der Tenne befindet sich das sog. Voirel, wo z. B. Futterrüben aufbewahrt werden mit einer kleinen Abteilung, dem Käǝwes. Es beherbergt de Käǝf (Spreu oder Kaff genannt), welche vermischt mit Futterrüben eine Delikatesse für das Vieh darstellt: Früchtemüsli für Kühe, sozusagen.

Ebenfalls in der trockenen Scheune lehnen in einer Ecke die Wasserboim, mit denen man ganz leicht zu Zweit schwere Lasten, z. B. Wasser im Schaff o. Ä. schleppen konnte. Nicht zu verwechseln mit dem Wiesebǝm, den man zum Befestigen der Ladung (Heu, Getreide oder Hanf) auf dem Ochsenwagen benötigt. Auch letzterer mit der langen Taisselt (Deichsel) ist hier in der Tenne abgestellt, während der Zatert (Zugverlängerung für die Deichsel) nur sehr selten zum Einsatz kommt, z.B. wenn statt zwei Ochsen vier vor den Wagen gespannt werden müssen. Die Heichel und die Hack (Werkzeuge zur Hanfverarbeitung), ein Baibes (geflochtener Bienenkorb mit Lehm abgedichtet) und ein Voirel (zylindrischer Messbehälter aus Holz für Getreide und Mais, also für die „Fruicht“) werden auch hier aufbewahrt. Im Eingang zum Kuhstall trocknet der gründlich ausgespülte Scheichtert (Melkkübel, früher aus Holz) kopfüber auf einem Gestell und daneben wartet der Draufuoß (Melkschemel). Neben anderem Gerät hängt in der Scheune noch eine „Vogelkantine“ an einem Haken, die wird dann im Winter wieder hinaus an den Maulbeerbaum gehängt und mit Körnern befüllt für Moisken, Matchasch und Päckertnäǝs, in Reussen Buum-Tschacker genannt (Meise, Eichelhäher und Specht).

   Der Kållerschaulz (Eingang/Vorraum zum Keller) ist nur mit einem Schubber verschlossen (zägeschubbert) und steht meistens leer. Geht man die paar Stufen hinunter und in den Keller hinein, trifft man in einem Raum auf die Bitt, die im Sommer leer steht. Auch die Fludder (Blasrohr) lehnt untätig daneben in der Ecke. Sie kann aus einer Holunderrute hergestellt werden, der man das weiche Mark mit einem langen, glühenden Eisenstab ausbrennt. Im Herbst werden dann in der Bütt mindestens 30 Krautköpfe (Kåmpesthoiftcher) zum gesunden Kampest (ungar. Káposzta) heranreifen. Hat man fleißig in die Fludder geblasen – das macht den Kindern besonders viel Spaß – wird nach einigen Wochen aus dem Salzwasser, das lediglich mit Kroihn (Meerrettich), Kraiskretch (Dill) uch Aisebet (Bohnenkraut) gewürzt ist, die schmackhafte, saure Gech (Krautsuppe). Das naturbelassene Sauerkraut hat nicht nur Matrosen früher auf hoher See gegen Skorbut geholfen, sondern war seit jeher ein wichtiger Bestandteil der siebenbürgischen Küche während der langen Wintermonate. – Auch ein Schrǝtes (Holzbehälter mit Henkeln für Wasser, nach oben hin weiter werdend) wartet im Keller auf den großen Waschtag im Sommer, das Bechen. Zwei-drei Blauen (Brettchen, mit denen die grobe Wäsche während des Waschvorgangs geklopft wird) liegen daneben auf einem Bord.

Geht man weiter ins dunkle Gewölbe hinein, kommt man schließlich bei den Weinfässern, den Leijeln, an. An jedem ist eine Pipp (Zapfhahn). Der Fußboden besteht aus Lehm und Sand, so kann man leicht erkennen, ob kürzlich die Pipp aufgedreht wurde, denn ein paar Tropfen gehen immer daneben und das ergibt einen dunklen Fleck im Sand…Wenn die Frau des Hauses fröhlich trällert oder munter ein Liedchen pfeift, wird ihr treusorgender Ehemann stutzig und fragt vorsichtig: Wuot äs, Mariechen, wäourschte wedder un der Pipp? Der Ėiren äm Kåller äs nåss!?

Fortsetzung folgt (Astrid K. Thal, im Dezember 2023)

IV.
Fortsetzung: Stolzenburger Mundart. Einblick in die bäuerliche Wirtschaft

Bevor der begehrte Rebensaft aus dem Weinberg, dem Woingert, oder vom Stuwweweng (Weinstock an der Hauswand) in die Fässer kommt, müssen die Waimeren geerntet werden. Das geschieht mit dem Heiptchen, ein kleines sichelförmiges Schneidwerkzeug für die Weinlese, de Wiënglëis. Landwirte mit großen Gärten, am Südhang gelegen, hatten den Weinberg sogar direkt hinter dem Haus. Das waren oft ein paar Hundert Weinstöcke, so dass die Weinfässer im Keller nie leer wurden.

   Im Schäǝpen (Schopfen/Geräteschuppen) benötigt die alte Axt eine neue Åckeshålw (Stiel) und die eine Hacke eine neue Hauenhålw. Diese werden beim Wagner bestellt oder in der Stadt auf dem Wochenmarkt erworben. Außerdem müssen alle Hacken vor dem Kukrus-Schäouwen (Hacken der jungen Maispflanzen) mit dem großen, schweren Hummer rum. Ciocan (Hammer) auf dem Amboß geklopft und mit der Feile geschliffen werden. In der Ecke warten die langen Fusoie-Stëiwel für die Bohnenpflanzen (de broitschëiwig gëil Fusoien) auf ihren Einsatz im nächsten Frühjahr, denn ohne Bohnenstangen gibt es keine Stangenbohnen!

   Im Båckes (Backstube, jeder Haushalt hatte eine!) lehnt de Kässel griffbereit in der Ecke. Damit werden zum Regulieren der Temperatur die heißen Kohlen im gemauerten Holzbackofen verteilt und verschoben. Die Ĕweschässel (Brotschieber, wörtlich: Ofenschüssel) und die Këihrrät (Kehrrute) stehen auch daneben. De Maald (schalenförmige Holzwanne für den Brotteig) liegt rutschfest und abgedeckt auf dem Schräoujen (Holzgestell, dt. veraltet: der Schragen), und der Weidling (emailliertes Gefäß mit zwei Henkeln) hängt sauber gewaschen an der Wand. Det Flåddebraut (Nudelbrett) hingegen hat seinen Platz im Hais (Mittelzimmer zwischen Guter Stube, Vädderstuww, und Hinterzimmer, Hoindjerstuww). Allerdings ist zu bemerken, dass der Teig für die legendäre Hanklich nicht auf dem Flåddebraut ausgewalkt wurde, sondern auf dem Küchentisch (ergab 8 – 12 Stück Hanklich, je nach Größe des Tisches). Folglich wurde Hanklich nicht in Stückzahlen sondern in „Tischen“ gemessen: Eine Hausfrau buk für die hohen Feiertage, je nach Größe der Familie und des Geldbeutels, einen, zwei oder drei „Tisch“ Hanklich: „Ich habe für Ostern zwei Tisch Hanklich gebacken“.

Wegen der unbefestigten und bei Regen recht aufgeweichten Wege befindet sich im Hof direkt vor dem Hauseingang das Mäǝr-Eisen [ai], wörtlich Moor-Eisen: eine meist H-förmige Vorrichtung aus Metall, fest im Boden verankert, an der man den Morast der Straße, de Mäǝr, von den Schuhen abstreifen kann. Wer seine Schuhe als Besucher besonders gründlich abputzen will, bevor er den Werwel (Türklinke) der Haustüre betätigt und über den Dirpel (Türschwelle) tritt, benutzt den meist daneben liegenden Laimel (altes, stumpfes Messer oder Schaber).

Völlig fremd war mir der Begriff Floischlåtår, wörtlich Fleischlaterne. Es ist eine Art Kühlschrank aus vorelektrischer Zeit: Ein ausrangierter alter Schrank wird mit einem Fliegengitter versehen, was die Luftzufuhr sichert, Ungeziefer und Mäuse aber fernhält. Er stand meist draußen im Schopfen oder in der Scheune und diente zum Aufbewahren und Kühlhalten von Fleisch und anderen Nahrungsmitteln.

Und schließlich hier ein weiteres, seltenes und fast vergessenes Wort: es hat zwar nicht direkt mit dem Bauernhof zu tun, durchaus aber mit ländlicher Umgebung und Natur, just wenn diese im Frühjahr erwacht: Dǝ Kräǝdǝkuotsch! Es handelt sich um den Kröten-/Froschlaich, der wie ein trüber Film im Frühjahr über Teichen und Weihern hängt. De Kuotschen sind bekanntlich die Windeln, zäkuotschen bedeutet „zudecken“ und das Gekotschtsel bezeichnet die Bettdecke, das Bettzeug.

Dies ist nur eine kleine, zufällig zusammengetragene Auswahl an „Fundsachen“ aus dem reichhaltigen Inventar einer Bauernwirtschaft, die für jedes Werkzeug und Gegenstand, für jeden Arbeitsvorgang und Sachverhalt einen typischen Ausdruck parat hatte. Meldungen mit weiteren originellen, seltenen oder halb vergessenen Wörtern sind willkommen. Und den jungen Menschen lege ich ans Herz: Fragt eure Eltern und Großeltern, sie allein können euch diese Begriffe erklären – und euch gleichzeitig noch viel mehr über eure Herkunft und Wurzeln erzählen.

Astrid K. Thal, im Dezember 2023

*aus „Såksesch Wält e Wīrt uch Beld“ von Helene Platz und Berta Stegmann

Nun, ich bin nicht unfehlbar. Niemand ist es. Auch ein siebenbürgischer Professor selig nicht, der sich u. a. wohl auch mit unserer Mundart befasst hat. Stellt euch vor, er bezeichnete die Hanklich, das Nationalgebäck der Siebenbürger, als Hefeteigfladen! Fladen schmecken zwar sehr gut, v. a. aber sind sie das tägliche Brot für Millionen, nein, Milliarden von Menschen, aber unser Festtagsgebäck, die Hanklich, als Fladen zu bezeichnen, das geht gar nicht. Wer das tut, hat keine Ahnung, wie man Hanklich bäckt, geschweige denn hat er je beim Hanklichbacken, das schon an und für sich ein Ereignis ist, zugeschaut, sonst würde er wissen, wie viel Vorbereitung, Erfahrung, Zeit und Mühe die Zubereitung erfordert. Dabei meine ich natürlich die echte, die Hanklich mit dem Butter-Ei-Belag. Dieser gelingt nämlich nur den Erfahrenen, da das richtige Verhältnis zwischen geklärter Butter („gebrîăde Båtter“) und Eiern stimmen muss. Die sogenannte Rahmhanklich, auch wohlschmeckend zwar, ist wesentlich einfacher in der Herstellung.

Übrigens habe ich erfahren, dass das Wort „Hanklich“ auf Anken**, ankelig, zurückgeht, was den Buttergeschmack beschreibt. In der Mundart der Deutschschweiz heißt die Butter seit jeher und vereinzelt sogar heute noch Anken. Danke wikipedia!

**mittelhochdeutsch „anke“, althochdeutsch „anko“

V.

„Åf de Gåss gîăhn ich, ruit Paputschen drăhn ich, woi mich setch, doi weall mich hun, åwer hëi wit mich niët bekun…“

…ist das allererste Verschen, an das ich mich erinnern kann.

Dann gibt es noch „än de Gåss gîăhn“, was wiederum etwas anderes bedeutet als „åf de Gåss gîăhn“, nämlich dass ein junger Mann einem Mädchen den Hof macht. „Heï goiht zem Kathi än de Gåss“, also sie ist sein Lewken (Liebchen). Und wenn sich die zwei nach ausgiebigem „än de Gåss gîăhn“ gefunden haben, werden sie noch eiligst im Herbst vor der Weihnachtsfastenzeit heiraten. Denn im Keller ist der Wein im „Leijeln“ (Fass) reif und – in manchen Fällen – der Bauch der Braut auch. Ob solch offensichtlicher „Fristverletzungen“ und „Grenzüberschreitungen“ war der Härr Fårr zwar jedes Mal recht verärgert, konnte aber nichts daran ändern. Was blieb ihm anderes übrig, als das Paar schnellstens zu trauen? Vorher steht aber erst „det Hoischen“ an, um die Hand der Braut anhalten, wörtlich: heischen, von althochdeutsch heiskon = fordern, fragen, Englisch „to ask“) :

„Gäden Ăwend, verzauht, Ihr law Letch, wel ich Ihr Hais hun betrăǝdden. Et äs vun Guott esi bestämmt, dat en Maintsch aloin net lëiwen kăǝn. Esi häout mich der law Guott un Ihr Dăǝchter u’gewiesen. Nä bän ich kun, Ech ze bidden äouf Ihr et (det Kathi) mer weällt gëin, 1. zer Bretch, 2. zer Frau uch 3. weall ich et oihren uch scheitzen bäs un’t Uontch auses Lëiwens. Esi weall ich fleißig gebådden hun.“

Es gibt eine weitere, kürzere Version für die einleitenden Worte: „Et wid Ich woihl bewåsst sen, wåråm ich ku bän: åm Ihr woihl erzîăjän Dîăchter wull ich bidden, 1. zer Bretch…“ usw. wie oben.

Wenn die Eltern „ja“ gesagt hatten, folgte die Verlobung, das „Bretchverdrainken“ (wörtl.: Brauttrinken).

Nach der Hochzeit nennt der Vater der jungen Frau seinen Schwiegersohn stolz „meng Oidem“ (= Eidam, ein altes deutsches Wort, das wohl kaum jemand mehr kennt). Dafür wird der Schwiegervater respektvoll mit „meng Schwijerhårr“, also mit „Herr“ angesprochen, während die Schwiegermutter kurz und knapp mit „de Schwijer“ abgetan wird. Ich meine abgefertigt, nicht abgetan. Das werden nur Hühner, Schweine, seltener auch Kühe. Letztere aber nur, wenn sie notgeschlachtet werden müssen, weil sie sich z. B. im Kampest (Kohlfeld) überfressen und einen lebensgefährlichen Blähbauch bekommen haben. Die Schwiegertochter hingegen ist einfach „de Schnirich“ (kommt von Schnur, auch so ein vergessenes deutsches Wort).

Wenn dann das erste Kindchen da ist, kriegt es jede Menge Taufpaten, „de Påten uch de Goden/Stolzenburg: Gîăden“. In der Kindersprache ist es „die Godi“ und auch in Süddeutschland als „das Godl“ bekannt. Sogar Englischer Verwandtschaft können wir uns rühmen, denn dort heißen Taufpaten Godfather und Godmother. So ausgestattet kann „det kloin Wiërmchen“*, das kleine Würmchen, höchst wohlbehütet aufwachsen: Ein guter Start ins Leben, wenn sich sechs oder gar acht Taufpaten um die Dăufbitt (Taufbecken) versammeln! “de Bitt“ kommt übrigens von der deutschen Bütte: eine Art Holzfass/Wanne und der Büttenredner heißt so, weil er auf die Bütt‘ steigt, um beim Redenhalten von den Zuschauern besser gesehen zu werden. Auch das teure Büttenpapier kommt von der Bütte, aus der es abgeschöpft wird.

Was aber bedeutet das alte Wort „Gevatter“? Es kennen die meisten nur den Begriff „Gevatter Tod“ oder einige wenige „Gevatter Fuchs“. Nur wir, die Siebenbürger Sachsen, wissen, dass der Gevatter/die Gevatterin das Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Paten und den Eltern des Täuflings sowie den Paten untereinander bezeichnen. So sprachen sich diese früher auch gegenseitig an: „Na, Herr Gevatter, wie geht’s?“ oder „Du Gevadder, hast du schon gehört…?“ (die Gevatterin).

* die verschiedenen Bräuche und gesetzten, feststehenden „Reden“ bei der Taufe wie auch bei anderen Anlässen im Stolzenburger Gemeindeleben sind ausführlich festgehalten in „Kirchen- und Festtracht in Stolzenburg/Siebenbürgen“ von O. Rothbächer und E. Kanz, 2008 sowie in „Die Gemeinde Stolzenburg in Siebenbürgen, aus Urkunden, Chroniken und anderen Schriften“ von M. Hihn, 2020.

VI.

Nobel, Nobel

Ich habe vor Kurzem „Die Scham“ von Annie Ernaux, der Literatur-Nobelpreisträgerin 2022, gelesen: Sie erzählt darin unter anderem, dass sie sich ein Leben lang für ihre „einfache“ Herkunft und den etwas groben Dialekt in ihrem Heimatort in der Normandie schämte und immer bestrebt war, gehobenes Französisch zu sprechen. Zum Beispiel sagte man in ihrer Gegend zu „sich das Gesicht waschen“ „je me débarbouille“ (ich schrubbe mir das Gesicht), was in kultivierten Kreisen, in gehobenem Französisch „je me lave“ zu lauten hat.

Ganz gleich, ob im Wort „débarbouille“ tatsächlich „barbe“, also „Bart“ drinsteckt oder nicht, erinnert mich dies daran, dass man im Stolzenburger Sächsisch in bestimmten Situationen Kinn (Känn) meinte, aber „Bart“ sagte: „Schau mal, du hast da was am Bart!“ Und das nicht nur zu Männern sondern auch zu Frauen! Bekam man jedoch einen Kinnhaken, dann war es tatsächlich „dǝt Känn“! Danke, Marie, für die Unterscheidung. Und immer, wenn ich „Barttüchlein“ statt Babylätzchen sage, werde ich von den Kindern ausgelacht. Stört mich aber weiter nicht, ich stelle nur wieder eine Besonderheit unserer unnachahmlichen Mundart fest und lache mit. So ist das mit Dialekt und Hochsprache. Aus diesem Grund ist mir Annie Ernaux auch so sympathisch: Weil sie ähnliche sprachliche Be- und Empfindlichkeiten anspricht wie wir, die ausgewanderten und an hochdeutsche Ufer gespülten Siebenbürger Sachsen.

Da wir gerade bei „Bart“ waren: Ich habe überlegt, wo „de Grunn, de Grunnen“ (der Schnauzer) herkommen. Von den Grannen? Diese sind laut Wörterbuch 1. bestimmte Haararten im Tierfell und 2. die borstenförmigen Fortsätze der Getreideähren und -spelzen. Ja, borstenförmig passt, sehr gut auch auf die „Grunnen“!


VII.

Stadt-Land. Und unsere englische Verwandtschaft

– Wenn man ein fan von Wörtern ist –

Unterschiede im Wortschatz gibt es nicht nur zwischen Siebenbürgisch Sächsisch und Hochdeutsch, sondern auch zwischen Stadt und Land: auf dem Dorf sagt man in Siebenbürgen „trackesen“, während es in der Stadt „stottern“ heißt, ein fauler Mensch wird in Stolzenburg „maddich“ genannt, in Hermannstadt ist er „fell“, „gur“ gilt für das Land und „ålle(n)“ für die Stadt. Auf dem Land geht man „åf de Kaimes“, in der Stadt „zer Dūf“. Während man in Stolzenburg die Ferkel in der Kindersprache „Bunzker“ nannte, hatte man in Hermannstadt gar keine, nannte aber ein Kind, das sich „vollgeschweinst“ hat, ein Botschken. Mit der „Papusch“ spielt das Dorf- und mit der „Pupp“ oder der „Dōk“ das Stadtkind (auch bei Goethe fand ich die „Docke“). Der Landmann zieht die „Paputschen“ (rumänisch păpuc) an und der Stadtmensch „de Schajen“ (Schuhe). Auf dem Dorf greift man zum „ciocan“, um einen Nagel in die Wand zu schlagen und in der Stadt zum „Hummer“. Der Kragen ist für den siebenbürgisch-sächsischen Städter der „Kruǝjen“, und der Bauer hat zusätzlich zum „Kräoujen“ noch den „Gåller“ (rumänisch guler, ungarisch: gallér, englisch „collar“!!!).

Wenn man beim Schlachten in Stolzenburg das Wurstfleisch in die „Baulen“ und nicht wie in der Stadt in die Därme füllt, führt uns das direkt zu den englischen „bowels“. Übrigens, auch der sächsische „Poddel“ ist eher mit dem englischen „puddle“ verwandt als mit der deutschen „Pfütze“. Selbst der „Pill“ (in Heltau: Fill) liegt akustisch und optisch lieber neben dem „pillow“ als beim Deutschen „Polster/Pfühl. Dass die Aussprache des englischen „papyrus“ oder „fire“ wie das Stolzenburger Papaier und das Faier klingt, ist wohl kaum Zufall. Ebenso verhält es sich mit den englischen Begriffen neighbour (Stolzenburg: „de Neiber“), harwest (=Ernte, klanggleich mit dem sächsischen „Hårwest“ = Herbst), morrow („mårren“), rain (Stolzenburg: „Rein“ = Regen), hail (Stolzenburg: „Hîăl“ =Hagel). Wenn ich erschrecke, dann „erfeire“ ich mich auf Sächsisch, was ans englische „fear“ erinnert, wobei auch „fräsen“ dem englischen Wort „freeze“ akustisch näher steht als dem deutschen „frieren“.

„Er geht weit weg“ heißt in Stolzenburg „heï goiht fårr ǝweich“ und hört sich fast identisch an mit dem englischen „he goes far away“. Der sächsische „Daiwel“ selbst fühlt sich klanglich mehr zum englischen „devil“ hingezogen als zum deutschen „Teufel“. Und schlussendlich ist zwischen der Stolzenburger „Schăulder“, der „Law“ und der englischen „shoulder“, „love“ gar kein Unterschied HÖRBAR. Dass der sächsische „Kokesch“, der rumänische cocoş und der englische cock auch einen französischen Verwandten oder Vorfahren le coq haben, leuchtet jedem Kind ein.

Es ist selbstredend, dass eine solche Aufzählung von Parallelen fast endlos weitergeführt werden kann. Interessant ist allerdings, dass sich Englisch und unsere Mundart klanglich ähnlicher sind als Englisch und das Hochdeutsche.

Ob auch die „Taink“ (Tinte) etwas mit dem Englischen ink gemein hat? Woher hat sie dann das „k“?
Nun, wenn man ein fan von Wörtern ist, wird man ja mit ihnen jonglieren und spielen dürfen…

Jegliches feedback (Rückfütterung?!) ist sehr willkommen!

Anmerkung: Die stellenweise von der allgemeinen siebenbürgisch-sächsischen abweichende Schreibung der Wörter ist mir bewusst. Auch erhebe ich keinen Stolzenburger Alleinanspruch auf die erwähnten Wörter.

Astrid K. Thal, 22. Mai 2023

Den Stolzenburgern aufs Maul geschaut, mit und ohne Maske . . .

Der Schnickeschnäoujel sul zer Huochzet gĕhn ĕnd kĕm gräoud zer Dĕf gerecht.

Ich freue mich jedes Mal, wenn ich die alten Bezeichnungen für die verschiedenen Gartenblumen wiederentdecke: Gliederblämen für Löwenzahn, Tausendschön(chen) für Gänseblümchen, Gärjeroisen für Pfingstrosen, Jorjoinen für Dahlien, Koiserkroin für Gladiolen (wörtlich übersetzt Kaiserkrone), Tonauten für Storchschnabel, Junge Herren für Zinnien und Loirbern (=Lorbeer) für Flieder.

Und wie heißt Thymian in Stolzenburg? Keine Ahnung. Duftet besonders im Hochsommer oben auf den trockenen Wiesen zwischen den Weinbergen, vor allem dann, wenn die Sonne am erbarmungslosesten auf die Arbeiterinnen herunterbrennt, nämlich nachmittags um Drei.

Warum Kamille allerdings Zäckwoih heißt, kann ich mir nicht erklären. Sollte es etwas mit Zecken und Weh zu tun haben? Gab es denn bei uns daheim überhaupt Zecken?

Aber wir alle wissen sehr gut, warum die Hagebutte/Hetschepetsch bei den Stolzenburgern Gäckaursch heißt. Die rote Frucht enthält tückische Härchen, die furchtbar jucken, wenn man die ganze Frucht verzehrt.

Erinnert ihr euch noch an das Himmelsbrot? Es ist eigentlich ein Unkraut, das sich flach über den Boden hinzieht, auf kargen Wiesen und am Wegesrand. Es entwickelt aus der unscheinbaren hellen Blüte kleine grüne Knöpfchen, die man essen kann…

Eine besonders große Freude war es mir vor Kurzem, dem lang vergessenen Begriff für Sommerastern zu begegnen: Kathrenge-Blämen, wörtlich übersetzt Kathreinblumen. Was für ein schöner Name! So schön, dass man vermuten könnte, die Mädchen mit dem Taufnamen Katharina mochten ihn nicht ganz für sich allein beanspruchen und TEILTEN ihn daher untereinander auf: Denn man rief sie entweder Kathi oder Trengi, nie mit dem vollständigen Namen. Der war nur den Urkunden und Zeugnissen vorbehalten. Übrigens, Katharina war der häufigste weibliche Vorname in Stolzenburg. Das weiß ich aus unserem Heimatbuch, der sog. Stolzenburger Bibel.

Etwas googeln musste ich, bis ich wusste, warum der Marienkäfer bei uns in Stolzenburg „Härrgäout-oisken“ heißt: Er hat im deutschen Sprachraum nämlich Dutzende von Bezeichnungen: Marienkälbchen, Muttergotteskäfer, Motschekühchen, Siebenpunkt, Herrgottskäfer, Herrgottsöönken und wer glaubt es, auch Herrgottsöchslein! Was somit dem Stolzenburger Härrgäoutoisken am nächsten kommt.
Google ist doch eine feine Sache!

Und während ich nach dem Herrgottsöchslein suchte, stolperte ich über den Begriff Mutschekuh: ein Diminutiv, ein Kosename für die Kuh. Da ist es doch nicht mehr weit zu unserem sbb. sächsischen Muckeschken, in Stolzenburg Mickeschken (Kälbchen), oder?

Lange habe ich versucht, mir die Herkunft des Wortes „Hanklich“ zu erklären. Ich dachte, es hat was mit der Hand zu tun, weil man traditionell den Butter-Ei-Guss mit der Hand auf dem Teig verstreicht. Eine bessere Erklärung fand ich im Internet: Anke, Anken ist ein mittelhochdeutsches Wort für Butter (althochdeutsch: anko) und „ankelig“ bedeutet „den Buttergeschmack betreffend“. Diese Erklärung lassen wir für unser Nationalgebäck gerne gelten, oder?

Das Siebenbürger Sächsisch hat unter vielen anderen eine Eigenheit, die ich bislang noch nirgends erwähnt fand: die 1. Person Singular Präsens endet nicht wie im Deutschen auf –e (ich esse, ich trinke, ich lebe, ich bleibe) sondern auf –en: ich eißen, ich drainken, ich liëwen, ich bleiwen, also gleichlautend dem Infinitiv. Das klingt für Außenstehende zuweilen wie Kleinkindersprache oder wie schlechtes Deutsch. Umso erstaunter war ich, als ich in einer Erzählung der Schriftstellerin Clara Viebig (1860 – 1952) in der dörflichen Mundart der Eifel „ech kennen, ech geloben, ech ersticken, ech kommen…“ antraf!
Daher ist es wohl nicht verwunderlich, dass ich hier u. a. auch den uns wohlbekannten Ausruf: Kutt nor! fand und an anderer Stelle: Komm bei mich.

Astrid K. Thal, 09369-761, im Oktober 2022

Stolzenburgerisch für Anfänger

„Deutscher Sprach schweres Sprach“ sagt der Ungar. So ergeht es manch einem, wenn er mit dem Stolzenburger Sächsisch konfrontiert wird. Ich dachte immer, dass ich den Dialekt beherrsche, muss aber staunen, wie viel ich nicht weiß oder falsch ausspreche.

Seit geraumer Zeit sammele ich Wörter und Redewendungen. Alte Wörter, sächsische Wörter, lustige Wörter, deren Bedeutung sich einem ohne Hilfe oft nur schwer erschließt.

Ein Beispiel: Man sollte denken, dass „låddich“ im heutigen Sinn „ledig“ bedeutet, also nicht verheiratet, auf Neudeutsch Single. Aber dem ist nicht so. „låddich“ wird im Sinne von „leer“ verwendet. Wer den Familienstand „ledig“ meint, sagt in unserer originellen Mundart „oilätzig“, (wörtlich: einzeln). Das Einzelkind wiederum ist nicht oilätzig. In diesem Fall heißt es bedeutungsvoll: „er/sie ist Kind allein“.

Was meint man bloß mit „gurr“? Sind es die Tauben, die gurren? Nein. Das Wort wird mit „alle“ übersetzt. Wenn z. B. die ganze Großfamilie antanzt, kommt es einer Warnung gleich: “Awer, mer kun gurr!“

„gurr“ sollte aber nicht mit „guor“ (gar) verwechselt werden, denn dies bedeutet „sehr“: guor flaißig = gar fleißig. Weiterhin gibt es noch ein gleichklingendes Hauptwort „de Guorr“ (die Stute). Und wenn man seinen besonderen Dank aussprechen möchte, sagt man: „Vun Haurze gårrn“. Also Vorsicht bei der Aussprache und alle Wörter schön auseinanderhalten: gurr-guor-Guorr-gårr(e)n! Übung macht bekanntlich den Meister.

Auch „mĕr hun broit“ könnte einen Außenstehenden auf die falsche Fährte locken. Ein Tipp: „broit“ ist hier kleingeschrieben, hat somit nichts mit „Broit“ = Brot zu tun. Eher sollte man an „bereiten“ denken, aber auch damit liegt man nicht ganz richtig, denn es bedeutet einfach „wir sind fertig“. Dass “broit“ als Eigenschaftswort auch „breit“ bedeutet, versteht sich von selbst.

Auf den kleinen lautlichen Unterschied zwischen „Goiß“ (Geiß, Ziege) und „Guois“ (Gans) habe ich schon an anderer Stelle hingewiesen. Erst kürzlich habe ich wieder dazugelernt: dass man die Großmutter zwar „de Groiß“, aber die Großeltern „de Gruißåldjer“ und die Urgroßmutter „de Iwwergruiß“ (wörtlich: die Übergroß) nennt. Ich vergaß zu fragen, ob es nun die „Bållegruiß“ oder die „Bållegroiß“ ist, falls man jemanden dorthin schicken will, ähnlich der deutschen Aufforderung dorthin zu gehen, wo der Pfeffer wächst… Es gilt demnach als Schimpfwort, aber ursprünglich sollte damit die Schwiegermutter des Bruders oder der Schwester gemeint sein. Denn die „Freundschaft“, sprich die Verwandtschaft, wird in Siebenbürgen sehr weit gefasst. Immer heißt es „Mir sen fraingtch“, egal ob es sich um „den Kusin“/„det Kusinchen“ dritten Grades der Mutter oder die Tante des Schwagers des Bruders handelt. Obwohl, was ich beim nächsten Mal noch genauer erfragen muss: gehören nur die Bluts- oder auch die angeheirateten Verwandten zur „Fraingtschĕft“? Einen sehr originellen Ausdruck jüngeren Datums hörte ich neulich: „Kontramenschen“. Früher waren es die Geijeliëtch (hat nix mit Geige zu tun) Wörtlich: Gegenleute = die Eltern eines Ehepaares.

Ähnliche Bedeutungserweiterung wie „Bållegroiß/-gruiß“ erfuhren Wörter wie Schämpes und Werbes:

Ersteres ist heute ein Schimpfwort, früher bezeichnete es den Ort, wohin angeblich auch der Kaiser zu Fuß geht.

Das zweite bezeichnete ursprünglich „Füße“*, später dann etwas abfällig eine andere mitwohnende Nationalität, genauso wie die Deutschen von den Amerikanern „Krauts“ und von den Franzosen „les boches“ betitelt wurden.

Während die Sachsen sich „sas prost“ oder noch kräftigere Ausdrücke anhören mussten, soll auf einzelne Individuen der anderen Ethnie bezogen schon mal der Ausdruck „knaistig Blîăch“ gefallen sein. Dies geschah vor allem dann, wenn einen das Trauma vergangener Zeiten einholte: z. B. der Verlust nächster Verwandter in der Russland-Verschleppung sowie die Enteignung von Grund und Boden, Haus und Hof, existentielle Not also. Dass solch ein Schmerz ein Leben lang nicht weniger wird, erkennt man, wenn eine hochbetagte Frau erzählt, dass sie im Alter von neun Jahren ihren Vater am Tag seiner Deportation im Januar 1945 das letzte Mal gesehen hat. Man ist erstaunt, wie ausführlich sie die Ereignisse nach mehr als 75 Jahren schildert, jedes Detail, jedes Wort, als ob es gestern gewesen wäre.

Das Adjektiv „lang“ und das Adverb „lange“ klingen im Stolzenburger Dialekt ganz verschieden : „lăngk“ (Adjektiv): der lăngk Wëich – der lange Weg und „leong“ (Adverb): Ich hun leong gewäourt: ich habe lange gewartet. Oder: „Na, ich bän net auld, ich bän nuor leonghär“

Selbst für das Wörtchen „und“ gibt es zwei verschiedene Formen im Siebenbürgisch-Sächsischen: „ĕnd“ und „uch“! Bei Aufzählungen „Äpfel und Birnen“ nehme man „uch“. Ebenso korrekt: „Bäoufloisch uch Broit uch Zwibbel“. Wenn man aber „und dann bin ich weggerannt“ oder „und, wie geht es dir?“ sagen möchte, bediene man sich des „ĕnd“. Außerdem steht „uch“ selbstverständlich für „auch“!

Dafür haben wir keine sächsische Entsprechung für die Uhr, daher müssen wir die Stunde zu Hilfe nehmen: „de Stångtch“ = Armband-, Wand- und Turmuhr. Möglicherweise ist dieser Begriff älter als die hochdeutsche „Uhr“, denn nicht umsonst heißt es: „Wem die Stunde schlägt“!

Die Nachbars-Groisi fragte uns Kinder einmal ein Rätsel: Woi liëtch, wuon der Burchhader krĕnk äs? (Wer läutet/leidet, wenn der Burghüter krank ist?) Jedes Kind fällt erst mal drauf rein, obwohl es eigentlich weiß, dass „liëdjen“ beides bedeuten kann, leiden und läuten.

Und da ich mich auch für andere Dialekte interessiere, glaubte ich meinen Ohren kaum, als ich im Oberbairischen in Bezug auf das Läuten des Telefons jemanden sagen hörte „Es hat gelitten“!!!

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es noch das großgeschriebene „Liëtch“ gibt, welches „Leute“ meint.

Wie sagt man auf Stolzenburgerisch zu „rückwärts“? Fahre den Wagen rückwärts raus! aurschlich. In einem anderen Dorf in Siebenbürgen möchte man sich etwas vornehmer ausdrücken, verlängert das Wort, um von der etwas vulgären Bezeichnung abzulenken und sagt: arschlonyän (ärschlings, ärschlängs).

Um es nun mit den Schwierigkeiten des Dialekts auf die Spitze zu treiben, seien hier folgende Fürwörter erwähnt, die im Sbb.-Sächsischen gleich klingen und beides bedeuten können: „ich“ und „euch“.

Für beide Wörter gibt es zwei Aussprachemöglichkeiten: ein betontes „ech“ und ein unbetontes „ich“. Dann hört man etwa Folgendes: „Ech waintschen Ich ållest Gädet!“ oder „Ich waintschen Ech ållest Gädet!“ oder gar: „Ich waintschen Ich ållest Gädet!“ Nun, gesprochene Mundart ist immer schwierig. Während „mir“ und „dir“ die betonte Form darstellen, stehen „mĕr“ und „dĕr“ für die unbetonte. Andersrum verhält es sich bei „mich, dich“ und „mech, dech“, wo letztere die Betonung übernehmen. Wer soll sich da noch auskennen? Nur wir, die Stolzenburger!

–chen und -lein machen die Wörter klein

Es wird auch nicht einfacher, wenn wir einem Begriff wie „det Kleinäntchen“ oder „det Hallmenäntchen“ begegnen. Gehen wir schrittweise vor: auch der unbedarfteste Anfänger merkt, dass hier zwei Familiennamen durchscheinen. Aber was soll das Angehängsel –äntchen? Ist es das Ännchen? Nein. Hallmenän, Kleinän ist die weibliche Form von Hallmen, Klein, so wie „die Wölfin“ von „Wolf“. Wie Ihr seht, wir Stolzenburger waren schon immer fortschrittlich und haben gegendert!

Und schließlich die Endung –chen ist das, was sie auch im Hochdeutschen ist, eine Verkleinerungs-, Verniedlichungsform wie Kind-chen, Häus-chen. Kleinäntchen oder Hallmenäntchen sind demnach die (mehr oder weniger kleinen) Mädchen der Familie Klein oder Hallmen.

Die weibliche Form plus Verkleinerung kann man daher jedem Familiennamen in Stolzenburg verleihen. Geht ganz einfach und immer den sächlichen Artikel „det“** davor: det Geddertäntchen, det Seiwerthäntchen, det Soiwertäntchen. Sogar Spitznamen wurden gerne genommen: det Mächeläntchen, det Blitzäntchen, det Tatchäntchen. Und bei einer Mischehe wird von „Blăch“ abgeleitet: „he häout en Bleichän“. Allerdings, wenn die Glückliche noch ganz jung ist, nimmt man das Eigenschaftswort „bleisch“ und hängt die Verkleinerungsform an: „ he häout en Bleischken“!

ich bän erleicht“ (nach dem alten deutschen Wort lechen, leck werden, z. B. das Fass ist verlecht) bedeutet es „ich bin erschöpft“ oder eher „ich bin am Verdursten“? Ist wohl das Gegenteil zu „ich bin EIN Wasser“. Und falls einem vor Erschöpfung die Luft wegbleibt, sollte man sich erst mal „er-blasen“, also tief Luft holen.

Über net ze fuodder, wuot de Fraas, Poila, Bäwendämmes, Uomfrau, Wichsleinwand, nă Gemirk, palaukesch, unzäckig, eipesch, oinesch, maram, etc. etc., wäre noch nachzudenken oder gleich ein alphabetisches Verzeichnis über alle gesammelten Wörter anzulegen.

Bemerkung: Die Eigenheiten des Stolzenburger Dialekts sind hier nicht erschöpfend und schon gar nicht systematisch erfasst. Es wurden nur punktuell ein paar kuriose Beispiele herausgegriffen. Weitere werden folgen, sobald sie mir im lebendigen Gespräch begegnen oder ich darüber stolpere. Und das Sammeln macht ungeheuren Spaß. Sicherlich finden sich viele dieser Begriffe auch in anderen siebenbürgisch-sächsischen Dialekten. Wir erheben also keinen Monopolanspruch auf die genannten Wörter und Wendungen. Auch freue ich mich über jede Rückmeldung, Richtigstellung oder Anregung!
Hier mein Rätsel: Wer oder was ist Pauli vum Opel? Arbeitet einer namens Paul bei den
Opel-Werken? Nein. Eine Hilfe gebe ich euch: Fragt doch die Großscheurner!

*Im Sbb.-Sächsischen gibt es bekanntlich keine Bezeichnung für Bein. Fuoß steht sowohl für den Fuß als auch das Bein
**auch am Hunsrück wird im Dialekt vor die weiblichen Vornamen „das“ gesetzt: das Apollonia

Astrid K. Thal, 09369-761, im Oktober 2022

Ich bän åf dem Kuokeschblaut… oder: Mundart, Dritter Teil

Weitere Gespräche mit einem Landsmann haben wieder „fette Beute“ erbracht, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Am besten bei meinen Irrtümern und Fehlern:

Der Wiedehopf heißt in Stolzenburg nicht wie im Rumänischen Pupăză, sondern Pupu. Nie gehört!

Die „Wårr“ hingegen ist die Maulwurfsgrille und die „Heitzel“ die gewöhnliche Grille. Eine „Wårr“ kann man aber auch am Auge haben (sog. Gerstenkorn?) Und der Gräouser ist die heutzutage und hierzulande Schrecken verbreitende Zecke, von der ich in Siebenbürgen in 27 Jahren nie etwas gehört, gesehen oder gar gespürt hätte. Nur der Zäckwoih-Tee (Kamille) ist mir bekannt. Kraiskretch und Dreschlǝngk kennt fast jeder, auch die Jüngeren, aber was sind die Gätschen oder der Kräǝuden-Umpert? Nicht ganz geklärt haben wir in unserem Gespräch, ob das Johanniskraut auf Sächsisch Gehonneskretch heißt oder einen anderen Namen hat; die Rumänen nennen es jedenfalls „Sănătoare“ (=Gesundheit), was eigentlich alles über die vielfältigen Wirkungen dieses Heilkrauts besagt. Eine weitere nützliche Pflanze, der „Roinfert“, findet sich an Feldrändern (Feldrainen), was durch die deutsche Entsprechung „Rainfarn“ (oder Wurmkraut) bestätigt wird. Ob hingegen die Schwutzker (kleine, runde, gelbe Sommerpflaumen) irgendeine Heilwirkung haben, ist unwahrscheinlich, lediglich verursacht ihr übermäßiger Verzehr Schwudra (Durchfall).

Fazit: Mein Gesprächspartner weiß viel, aber auch nicht alles! Wer kann uns daher sagen, wie die Wegwarte in Stolzenburg hieß? Jedenfalls steht die zu einer Blume mit blauen Blüten verzauberte Jungfrau heute noch am Wege und wartet – auf ihren Liebsten.

Deutsches Sprach – schwerer Sprach oder doch alles nur Haarspalterei?

Es wurde von Nicht-Stolzenburger, halb-akademischer Seite bemängelt, dass „hinter jemandem aus dem selben Glas … trinken“ falsch sei. Korrektes Hochdeutsch würde „nach jemandem … trinken“ diktieren, da die Präposition „hinter“ räumlich und nur „nach“ zeitlich zu verstehen sei. Dann frage ich mich: Sind es nicht die Hinterbliebenen, die „hinter“ jemandem erben?!
Außerdem hatte ich bei der Beschreibung des Begriffes „Mäsche-Miël“ das Bild einer Warteschlange von Schülern vor Augen, die während der Pause auf dem Flur („Korridor“) der Schule hintereinander am primitiven Wasserspender warteten, um nach dem „eingesackten“ Fett- oder Marmeladenbrot ihren Durst zu löschen . Ich war als Kind immer bedacht, den Wasserhahn nicht mit meinem Mund zu berühren, damit ich ja kein Mäsche-Miël bekomme.

Solche Feinheiten und Unterscheidungen („hinter“ oder „nach“?) bezeichnet man in Stolzenburg als „Kimm spaulden“, also Kümmel- bzw. Haarspalterei. Wäre es nicht sinnvoller, solche Abweichungen vom Hochdeutschen (spontan fallen mir ein: „sie gingen um/nach Wein“; „wie ich zu Hause ankam“ (als); „ich will mehr nur eine Stunde ausruhen“ (wenigstens), „mehr sei es auch kalt…“ (selbst wenn…) etc.) als das typische siebenbürgische Deutsch zu akzeptieren? Im Bestreben, alles in gutem Hochdeutsch auszudrücken, damit ja nicht irgendwo etwas Authentisches, Ursprüngliches aufscheint, schaffen wir unser eigenes siebenbürgisch-deutsches Kolorit ab, anstatt es zu pflegen, zu fördern und zu erhalten. Nichtsdestotrotz bin ich jederzeit offen für Vorschläge, Ergänzungen und v. a. Berichtigungen. Möglicherweise drücke ich mich gelegentlich missverständlich aus, aber ich glaube, wer mich verstehen will, der versteht mich richtig.

Sankt-Nimmerleinstag

Wie wir alle wissen, ist am 24. Juni Gehuonnesdäǝuch (Johann), am 29. Juni Pittrempaulsdäǝuch (Peter und Paul), am 29. September Mächoilsdäǝuch (Michael) und am 11. November Mertesdäǝuch (St. Martin). Auf den 21. Dezember fällt die längste Nacht des Jahres, also „de Tummesneicht“ (Thomas) und wann feiert man eigentlich den Guorrefoistdäɔuch?!

Ergänzend zu den Schimpfwörtern des vorigen Kapitels wäre noch anzubieten: det Schålåster (geschwätzige Person), der Gämbetz („ausgelassen“, frech, Schlingel, Draufgänger), de Mutăhală, der Mutalău (rumän. mut = stumm, schüchtern). Die bereits erwähnte Pustăhală ist wild oder streunert untätig herum (von „pustig“: 1) verwildert, vernachlässigt (Garten, Feld), 2) nicht ganz richtig im Kopf) wie ihre männliche Entsprechung: der Pustalău (dto., Taugenichts). Ein für mich vollkommen vergessenes Schimpfwort, mit dem sich nur Jungen gegenseitig im Streit bedachten, war „Ei Sāper!“ (Nichtsnutz, Schlingel, ob das rumän. săpăros = geizig oder das deutsche „sabbern“ als Herkunft gilt, ist n.n. geklärt). Die Antwort kam prompt: „Ei Mutschå!“ (rumän. muci: Rotz, Rotzlöffel). Wie bereits an anderer Stelle festgestellt, wurde meist in der Fremdsprache geschimpft und geflucht, sprach doch „auser Härrgäoutt“ nur Sächsisch und keine Fremdsprachen. –

Eine originelle Bezeichnung für einen Menschen, der den ganzen Tag auf der faulen Haut liegt, ist „Briënzblǝch“* (von rumän. „brânză“ = Käse). Der Dorftrottel hingegen wurde in Stolzenburg „Håttertnårr“ genannt. Wenn ein weibliches Wesen anders als die anderen war, sagte man, sie sei „ais der Fur“: wörtlich: außerhalb der Furche, außer der Reihe, aus dem Rahmen gefallen. Eine solche wurde auch gern „Arschitzǝ“ gerufen, wenn sie hartnäckig, frech und nie locker lassend, sozusagen mit Ellenbogen ihre Ziele verfolgte. Passend dazu ist auch das Eigenschaftswort „geterschtich“ = wagemutig, sich trauen, wagen (möglicherweise verwandt mit dem Englischen to dare = wagen, und dem Perfektpartizip „durst“, das vom Altenglischen: dearst, dorste abstammt).

Auch beliebt war Karnali, vom französ. Canaille = Schurke, während „Furz än der Låtår“, „Krådder“ und „Fråtzen“ recht harmlose Bezeichnungen für Kinder allgemein – und über die Grenzen von Stolzenburg hinaus bekannt – sind. Der Begriff „Măcălău“ wurde bereits im Kapitel ANEKDOTEN erläutert, wenn die Groisi vom Fenster des „Stiwwkens“ aus genau aufpasst, wer ihren Enkeltöchtern draußen vor dem „Gåssendirchen“ den Hof macht.
Wenn man keine Schimpfwörter benutzen und sich etwas gepflegter ausdrücken will, sagt man über einen ungehobelten Menschen einfach nur, dass er „agepäoust“ ist. Päousten ist das Veredeln von Obstbäumen, Rosen oder Weinreben. Und das Gegenteil davon (die Vorsilbe a- = un-) ist eben unveredelt, wild, grob, ungeschlacht.

Bei Murrefiëhlen scheiden sich die Geister: ein sehr attraktives Mädchen, das mich an ein ausgelassenes Fohlen erinnert, das sich seines Lebens freut. Nach anderer Meinung habe es keinen guten Ruf, wahrscheinlich zu „sexy“? Eine dritte Meinung beschreibt damit ein wildes, ungestümes Mädchen („vertämmelt“) ohne Benehmen: agepäǝust halt. Möglicherweise kann ein Murrefiëhlen auch „hoiferdich“ sein (dt. hoffärtig = veraltet für: überheblich, stolz). Und „Pärfin“ benutzt es wohl auch. Ob das Murrefiëhlen auch „kiërnig“ (fleißig) ist, sei dahingestellt.
Huschdră ist für einige eine vergessliche, kopflose Person, für andere eine schlampige, unordentliche, die „nicht anständig angezogen auf die Straße geht“.

Hast du meine Stunde gesehen? Wo ist meine Stunde?

Schauen wir uns mal einige Gerätschaften in einer siebenbürgisch-sächsischen Bauernwirtschaft an, wobei auch hier, wie bei vielen anderen Themen nicht der Anspruch der Vollständigkeit erhoben wird. Es werden lediglich ein paar ausgefallene Begriffe vor dem Vergessen gerettet:
Det Heiptchen (kleine Sichel für die Weinlese), Åckeshålw (Stiel der Axt), analog für die Hacke: de Hauenhålw, Seinzewurf (Stiel der Sense), de Kässel (flache Harke zum Verteilen der Kohlen und Regulieren der Hitze im Backofen). Die Kehrrät (Kehrrute) besteht meist aus dürren Zweigen, Stroh oder Laub, mit der letzte Reste von Kohlen an den Innenrand des Ofens gefegt werden, bevor der Brotteig reingeschoben wird. Auch gleich hinter der Ofentüre ist ein Pippesken mit glühenden Kohlen, um die Hitze nicht entweichen zu lassen. Das Pippesken ist nicht die Verkleinerungsform von der Pipp (1. Pfeife, 2. Zapfhahn am Weinfass) sondern vom Puppes, was einen Haufen bezeichnet, z. B. „Der Hantch sch… angj åf den däcksten Puppes“. Hierzu sei auch angemerkt, dass dieses Wort zu den eher ländlichen Begriffen gehört (s. voriges Kapitel „Stadt – Land“), denn in der Stadt heißt es „Hufen“ oder „Tuppes“. Weitere Unterschiede zwischen Dorf und Stadt fallen mir ein: In Stolzenburg verstaut man Vieles åf der Stuww, in der Stadt hingegen „åf dem Hemmels“ oder dem „Åfbåddem“. Die Stolzenburger fahren zu ihren „Frangjen“ „än de Heilt“, während die Hermannstädter „ken Helt“ (gen Heltau) reisen, um ihre Verwandten zu besuchen. Erstere haben an den Fenstern grüne „Schalăuen“, mancherorts „Schallegattern“ genannt, und in urbaner Umgebung hat man als Sicht- und Sonnenschutz Jalousi(n)en. Wird man nach der Uhrzeit gefragt, schaut man in Hermannstadt „åf de Uhr“ und in Stolzenburg ist es „de Ståndj“, die man gut sichtbar am Armgelenk trägt, vor allem dann, wenn man vom Fotografen äǝugemǝlt, abgemalt wird.
Ich persönlich gebe der „Ståndj“ den Vorzug, schließlich heißt es ja auch: „Wem die Stunde schlägt“ und nicht die Uhr, also wissen die Stolzenburger sehr wohl, wovon sie sprechen.

Zurück zur Pipp Nr. 2. (Zapfhahn am Weinfass): Unsere Stolzenburger Ehemänner sind Gold (oder ihr Geld) wert: Wenn die Ehefrau gut gelaunt ein Liedchen pfeift, befürchtet manch ein fürsorglicher Haisväǝuter, das gute Wetter könnte gleich in schlechtes umschlagen: „Siehst du, jetzt fängt es schon zu regnen an!“. Ein anderer hingegen fragt seine trällernde Frau, ob sie denn schon wieder im Keller „an der Pipp“ gewesen sei, denn dort sei ein dunkler, feuchter Fleck auf dem Sandboden vor dem Weinfass? Bemerkung: In den Kellern der alten Bauernhäuser war der Boden nicht gemauert, zementiert oder gedielt, sondern mit blanker Erde oder Sand ausgelegt.

Bleiben wir im Keller. Weiß jemand, was eine Fludder ist? Es ist ein ca. 1,20 m langes Blasrohr, mit dem das Salzwasser im Krautfass, der „Bitt“, durcheinander gewirbelt und so mit Sauerstoff versorgt wird. In der Bütt liegen ca. 20-30 Krautköpfe und reifen dort zum gesunden, Vitamin-C-haltigen Kampest (ungar. Káposzta). Hat man fleißig geblasen, wird aus dem Saft die schmackhafte, süffige „Gech“.

Ein nach Deutschland ausgewanderter Großvater fragt seinen 10-jährigen Enkelsohn, der außer den Worten Tokana, Ardee, Vinete kein Sb.-Sächsisch spricht: Pauli, habt ihr Geige? Der Bub entgegnet: Nee, eine Geige haben wir nicht! Nur eine Gitarre. Der Opa lässt nicht locker: Habt ihr Krautsuppe? Der Pauli schnallt‘s: Ach so, Opa, warum sagst du nicht gleich „Gech“?!

Ob man für eine gute Gech einfach das „harte“ Brunnenwasser aus dem eigenen Hof nahm oder zum Gevatterbronnen Wasser holen ging? Das muss ich nächstes Mal genauer erfragen!

Ich gǝhn än’t Gewålw

Ein Begriff, den ich gar nicht kannte, den aber einige Stolzenburger bei ihren Großeltern gehört haben, stammt wohl aus einer längst vergangenen Zeit: Gewålw: wörtlich Gewölbe. Nun, fast jeder Keller hatte früher ein Gewölbe, aber der Ausdruck: „Ich gǝhn än’t Gewålw!“ bedeutet nicht: Ich gehe in den Keller, sondern: Ich gehe einkaufen! Hat es etwas mit den Gewölben und Arkaden im mittelalterlichen Hermannstadt zu tun, den überdachten Laubengängen z. B. auf dem Kleinen Ring, wo fast alle Läden hinter alten Gewölben untergebracht waren? Oder bezeichnete es einfach das Geschäft, den Einkaufsladen? Geht man ins Gewålw, den „Eissåck“ [ai] für die Einkäufe nicht vergessen!

Rëid Sachsesch!

Wir Stolzenburger sind übrigens der Ansicht, dass unser Dialekt der einzig Wahre und Richtige ist. Wenn jemand einen „fremden“ Ausdruck benutzt oder ein Wort falsch ausspricht, ergeht sofort die Aufforderung „Rëid Såchsesch!“, gemeint ist jedoch: Red stolzenburgerisch!

Zwei Begriffe sind mir begegnet, die man klanglich leicht verwechseln könnte, deshalb ist auch die genaue Schreibung – und Aussprache – so wichtig: Der Zångjer ist ein Pilz (=Zunderschwamm), der an Baumstämmen wächst und den man als Blumentopfständer benutzen kann. „Et braht wa Zångjer!“ ist manch einem geläufig. Ein Umhang aus einem groben, schweren Stoff hingegen ist der Zuonder.

Womit wir bei der Bekleidung sind.

Auch hier werden nur einzelne Kleidungsstücke erwähnt, da ja bereits alles 2008 im Stolzenburger Trachtenbuch geschrieben wurde (O. Rothbächer, E. Kanz).

Dass der Pändel kein Pendel ist, weiß jeder. Ich dachte immer, es sei der Unterrock der Frauen. Nicht ganz richtig! Der Pändel ist ein Stück aus etwas gröberer Webe als das Frauenhemd selbst und an dieses angenäht ergibt es eine Art Verlängerung desselben, eine Art Ersatz oder Zusatz zum Unterrock.

Und wieder ist mir ein halb vergessenes Wort eingefallen, also aus der Versenkung aufgetaucht: de Goip. Es handelt sich hierbei um eine leichte Jacke (Goip von Joppe?) aus Stoff mit Knopfleiste, mit oder ohne Taschen an der Seite. Es gab sie sowohl in festlicher als auch in Alltagsausfertigung.

Das Gurtich Kloid hingegen trägt man nur zum Kirchgang, es ist eine bezaubernde schwarze Jacke für Mädchen aus einem dicken, warmen Winterstoff mit gerafftem, fein gefälteltem Rückenteil, vielen bunten Glasknöpfen und applizierten Zierschleifchen auf der Vorderseite. „Mehr sei auch die Kirche nicht geheizt“, friert man nicht, wenn man die anhat. Dazu gehört unweigerlich der Spangliëttkeddel, aus dickem, blau-schwarz „gefenstertem“ (kariertem) Wollstoff angefertigt, damit kein Mädchen auf den kalten Kirchenbänken frieren muss.
Auch das Jschäpperkloid hält warm: eine schwarze, dicke, halblange Männerjacke mit großen, aufgenähten Taschen („Jschäpp“, ungar. „zseb“).

Der Räǝuck klingt aufs Erste nach Frauenbekleidung, bezeichnet in Stolzenburg aber den allseits bekannten, prächtigen, sog. „Stolzenburger Mantel“. Man denke an den Waffenrock, dann versteht man die seltsam anmutende Bezeichnung „Rock“ in Zusammenhang mit Männerbekleidung. „det Reckel“ wiederum müsste das männliche Pendant zur weiblichen „Goip“ sein, also eine Joppe, ein Janker o. Ä.

Wie schmeckt Kukudrack?

Kommen wir nun zu einigen alltäglichen, zum Teil ausgefallenen „Gaumenfreuden“:

Det Kåmeraudchen“ kennt jeder gebürtige Stolzenburger. Es bezeichnet ein Türmchen bestehend aus Brotwürfeln bedeckt mit Speck und Zwiebel, das kleine Kinder zum Essen anregen soll, vor allem die „haklichen“. Nicht umsonst hieß es immer: Iiiiß, dass (=damit) du groß und stark wirst! Andernorts nennt man diese belegten Brotwürfel „Reiterchen“. Wenn das Kind nicht essen und gedeihen will, lautet die Diagnose: magartzig (mager).

Hingegen schmeckten die Luptcher den Kindern recht gut: es handelt sich um „missratene“ Pflaumen ohne Kerne.

Bei der „Bikǝmealtch“ handelt es sich um das Kochwasser, in dem gedörrte Zwetschgen oder Äpfel gegart wurden. Am Karfreitag stand unter anderen veganen Speisen auch gekochtes Dörrobst einschließlich der Bikǝ-Milch (Bikǝ = Stier) auf dem Speiseplan.

Im Sommer wurde im Garten auch Kukudrack gelutscht. Es ist das Harz, das aus den Stämmen der Pflaumen- und Kirschbäume austritt. Eine Art Kaugummi-Ersatz? Ich hab’s nicht probiert und es vorgezogen, von grünen Äpfeln oder vom Aujeresch (Stachelbeeren) irkelige Zähne zu kriegen, wenn weder die Erpelcher vom großen, uralten Maulbeerbaum noch die saftigen Akavetzker reif waren.
Die Regǝtzäner (rumän. regat = Königreich) brachten aus der Walachei die Wassermelonen und „Paddem“ (gelbe Melonen), die dann im „Aprosar“ verkauft wurden wie auch anderes Gemüse und Früchte, die man gewöhnlich nicht im Garten hatte. Er stand direkt an der „Fårreschbräck“, wo früher die Viehwaage, „de Wǝgj“ im überdachten Schuppen ihren Platz hatte. Der Verkäufer nannte mich immer „Tu Jamaică!“.

Feongkich, Kråppen uch Klǝttiten

Wusstet ihr, dass nicht nur in Stolzenburg sondern auch in Berlin die Faschingskrapfen „Pfannkuchen“ heißen? Der Feongkich. Die Stolzenburgerinnen können übrigens die besten Feongkich backen. Was hingegen in Stolzenburg mit „Kråppen“ gemeint ist, heißt in Franken Schneeball, der aber dem Stolzenburger Kråppen geschmacklich weit unterlegen ist. Mit den französischen Crêpes verwandt, aber ebenfalls viel besser als jene, sind die siebenbürgischen Klǝttiten ( von rumän. clătite = Geschwenkte, a clăti = spülen, schwenken).

Zurück zu „haklich“: Auch die Tiere im Stall können manchmal haklich sein, man spricht dann von „schlechter Art“ (nästnätzig, des lichter Äǝurt), die verantwortlich ist dafür, dass sie nicht fressen und keinen Speck ansetzen wollen. Kann es auch sein, dass sie nicht fraßen, weil sie gerade brimmig waren? Ob man jedoch bereits einen Braalengk (Schwein von ca. 70 – 80 kg) schlachtet oder wartet, bis er doppelt so schwer ist?

In einem der vorigen Kapitel, „Unsere englischen Verwandten“, wurden Ähnlichkeiten des Siebenbürgisch-Sächsischen und speziell des Stolzenburger Dialekts mit dem Englischen aufgezählt. Eine echte „Leihgabe“ aus dem Englischen dürfte allen bekannt sein: das Zwätter (Sweater) und möglicherweise kommt die Pritschhose von breeches? Das wissen sicher die Mundartforscher und Sprachwissenschaftler zu beantworten. Unsicher war ich mir bei den „Beitschen“ (Halskette, meist aus Glas- oder Granatsteinchen), ob sie etwas mit „beads“ zu tun haben? Über Ergänzungen und Richtigstellungen freue ich mich, denn ich lerne gern dazu. Ich will zu Gesprächen anregen, Erinnerungen wecken und ein Band von Mensch zu Mensch, von Land zu Land sein!

Åf der Kaimes:

Gesandj fångdjǝ mer ich – Gesandj luossǝ mer ich.

Mit dem Täufling auf dem Weg zur Kirche: En Hoiden drǝ mǝr, en Chrästen broingǝ mǝr

Nach der Taufe beim Eintreten in das Haus der Tauffamilie: En Hoiden hu mǝr gedrǝn, en Chrästen hu mǝr breicht.

Auch dieses Thema, die „Kaimes“, wird hier nicht erschöpfend behandelt sondern eher das, was bislang noch keine Erwähnung fand in den zwei einschlägigen Veröffentlichungen „Kirchen- und Festtracht von Stolzenburg“ v. O. Rothbächer/E. Kanz und „Die Gemeinde Stolzenburg…“ v. M. Hihn.

Was sind die Wäjekretzer? Mit Kretze hat es nichts zu tun, vielleicht hilft das deutsche Wort weiter: Wiegenkreuzer. Der Kreuzer ist hier kein Schiff, es ist die Währung während der k.u.k. Österreich-Ungarischen Monarchie, also bis 1918. Es ist demnach das Geldgeschenk jedes einzelnen Gastes an die Wöchnerin, die Mutter des Täuflings. Während heute die Kinder erst nach 6 – 8 Wochen getauft werden, wurde das Kind – ganz früher, als die Säuglingssterblichkeit sehr hoch war – bereits zwei, drei Tage nach der Geburt getauft, also während die Mutter noch im Wochenbett, äm Krǝm lag. Dabei spielte die Uomfrau (Hebamme) zweifellos eine wichtige Rolle und bekam deshalb auch etwas Geld von den Taufgästen, maram (sozusagen) „aus dem Segen des Herrn“. Die frechen schlitzohrigen Mannsbilder meinten jedoch kleinlich: Nicht aus dem Segen des Herrn, sondern aus meiner eigenen Tasche, „ais miëngem Jschäpp!“ (s. weiter oben: ungar. zseb).

Det Äboingjen: Die Taufpaten** besprechen gemeinsam, wie viel Geld sie dem Täufling schenken sollen: Waviel boingje mer em än? Das Geld wird dem Täufling „eingebunden“, in das Taufkissen? in die Windeln ? – Womit nicht Pampers sondern drei Lagen bester Stoffwindeln gemeint sind. –

Mätbleiwen [ai]: Ich habe kürzlich aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass es sich bei diesem Ausdruck um ein recht seltenes Wort handelt, das wahrscheinlich nur in Reen, Schönberg und Stolzenburg gebräuchlich war. Es bedeutet das Empfangen des Abendmahles allgemein und die Konfirmation im Besonderen. Es leitet sich von der Tatsache ab, dass nach dem regulären Gottesdienst nur diejenigen im Kirchenraum bleiben, die das Abendmahl empfangen möchten. Die übrigen Gottesdienstbesucher verlassen die Kirche nach dem Segen, beim Ausgangslied. Die Jugendlichen dürfen erst nach der Konfirmation mit beim Abendmahl bleiben.
Um das Abendmahl jedoch empfangen zu dürfen, hatten sich alle vor dem Gottesdienst zu Hause und in der Familie gegenseitig åm Verzauhung gebeten bzw. mit „vun Haurze gåren“ geantwortet. Dann erst durfte man guten Gewissens „mitbleiben“, nämlich wenn man mit allen Mitmenschen im Reinen und versöhnt war.

Ich bän åf dem Kuockeschblaut

Jeder von uns ist mal kaputt, angeschlagen oder kränklich: Hat man nur die Hoimausch (übermäßiges Schlafbedürfnis) oder ist man etwas padaugerich (von Podagra/Gicht? kränklich, matt, abgeschlagen)?

Auch fragte ich meinen Gewährsmann, was bedeutet Ich bän åf dem Kuockeschblaut? „Ich gehe auf dem Zahnfleisch, ich bin am Ende“ oder „Ich bin auf 180“? Er meinte, es sei das Erstere.

Fragen über Fragen: Bedeutet „tedijen“, „det Getedij“ einfach nur „proipeln“, also reden, sich unterhalten oder eher diskutieren, streiten? Die Herkunft könnte etwas mit dt. „verteidigen“, implizit also auch mit „streiten“ zu tun haben. Denkanstöße, jede Menge!

Warum jedoch die Hahnbacher die Stolzenburger „de Sotzen“ nannten, ist mir ein Rätsel, aber vielleicht weiß jemand Bescheid?

Was mir sonst noch eingefallen ist:

aisgekämpelt, esiwasi, hårt (laut), keiniff, knaistig, nå drǝǝ! nå freallich! nå wa net? pätschen, de Bitchärren (von ungar. Bétyár = Räuber, Wegelagerer), de Fuselele (alte Roma-Frau, die Spindeln schnitzt und verkauft, fus: rumän. Spindel), der Fraas (Schlaganfall), de Friseln (Masern) de Fruir (krankhaftes Zittern), Fättbiss, Gepäschken, Kaberlitzken, kaboiich Fess, Kämpel (Vertiefung mit aufgestautem Wasser im Bach), de Kell (Kuhle, Grube), Knärschel (Knorpel), Kniwwel, Poitasch, Prikulitsch, der Purligar (urspr. rum. Potlogar (Gauner) oder franz. pour la gare für Kofferjunge, verharmlosend, verniedlichend für Nichtsnutz, Tagedieb), Putregai, Remmel, de Russen (Kakerlaken), Schmehr, Scharlau (harter, seifenartiger Lehm im Flussbett), de Schutǝ (auffällige Frisur, Frise), Uoisselt (Schaffett, Talg), Zegunnen (bei offenem Holzfeuer herumfliegende Funken, Asche- u. Brandreste).

Auch dieses Mal möchte ich keinen Stolzenburger Alleinanspruch auf die erwähnten Wörter erheben. Auch dieses Mal habe ich viele Wörter nicht „übersetzt“, damit die Leser mit einander, jung mit alt ins Gespräch kommen. Auch dieses Mal danke ich allen auskunftsfreudigen Landsleuten, die ich mit meinen Fragen nerve, und bin für Richtigstellungen, Rückmeldungen und Ergänzungen dankbar.

*Die Schreibung entsprechend genau der Lautung wäre eigentlich „de Blîăch“, „der Bîărten“, wie ich sie auch in der Vergangenheit benutzt habe, da aber die Rechtschreibregeln des Siebenbürgisch-Sächsischen stattdessen „y“ vorschlagen (Blyǝch, Byǝrten), ziehe ich in Zukunft sowohl für „î“ als auch für „ă“, sowie für den Diphthong „îă“ ein abflachendes „ɔ“ bzw. „ǝ“ vor, also „der Blǝch“, „der Bǝrten“, auch wenn diese Wörter, wie viele andere in unserer Mundart genau diesen Doppellaut „îă“ enthalten: Abend, Nachbar, Schwager, Wort, Gaben, blasen, braten, fragen, gehen, malen (nicht mahlen = maulen), raten, sagen, stehen, tragen, blau, nahe, dort, wo, und viele mehr.
** bei allen Personenbezeichnungen verwende ich wegen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum, d. h. beide Geschlechter sind damit gemeint.

Astrid K. Thal, 20.08.2023

Fundsachen aus dem Stolzenburger Wortschatz:

Zäckwoihtei uch Hoiftwoihknoifel

Bei Krankheit oder Unwohlsein wird man von der Groisi gegammelt uch gefoikelt, also verwöhnt und gepflegt. Sie kocht dir Zäckwoihtei (Kamillentee), vielleicht musst du auch Hoiftwoihknoifel (wörtl.: Hauptwehknopf, = Kopfschmerztablette) schlucken. Manchmal hat man die Hoimausch (übermäßiges Schlafbedürfnis) oder man fühlt sich etwas padaugerich (kränklich, matt). Möglicherweise ist man nur måddich (faul)? Dann kann auch die liebe Oma nicht helfen, höchstens mit Griwelitschlauwend (einfache Suppe mit einer Art Teigknöpfle) oder Gechwoichpert (Brotsuppe aus Krautsaft, gern mit Fleisch-/Wursteinlage).
Magartzig hingegen nennt man Kinder, die nicht richtig gedeihen, weil sie haklich sind (heikel, wählerisch). Dementsprechend sehen sie schmuggeritzig aus. Ob man sie mit Sair Bräouck (gesäuerte Brotsuppe) locken kann oder muss es doch Kroinekächen (kräftige Fleischsuppe mit Kren=Meerrettich) sein?
Hat man de Fraas (Schüttelfrost), wird man warm eingepackt oder nimmt ein heißes Fußbad. Wenn es jedoch die Friseln (Masern) oder die Schǝfpäoucken (Wind-/Schafpocken) sind, sollte man möglichst niemanden anstecken. Die Fruir (krankhaftes Zittern) haben meist ältere Leute und mit dem Schlacha (Schlaganfall) ist auch nicht zu spaßen. In Flüche verpackt klingt das dann so: Der Schlacha hoinyjer der! oder: Der Schlacha än dich!
Verhuddelt äm Hoift, vertämmelt oder gar kaptschullig, das wünscht man keinem. Verdächtig ist jedenfalls, wer esi palaukesch redet, also unverständliches Zeug von sich gibt. Hingegen sind gǝhmern und schiëmmern mehr oder weniger harmlos.
Das Mäschemiël, wörtlich Spatzenmund, ist unangenehm und erfahrungsgemäß bekommt es, wer mit anderen aus derselben Tasse (Däppchen) trinkt.
Unter Bauchweh und Schwudra (Durchfall) leidet man, wenn man z. B. zu viele Schwutzker (kleine gelbe Pflaumen) gegessen hat. Dagegen soll angeblich Kräǝdenumpert (wörtl. „Krötenampfer“) helfen, zu Deutsch Ochsenzunge und rumänisch limba boului genannt. Andere Meinungen schreiben diesem Heilkraut wiederum abführende und blutreinigende Wirkung zu. Hingegen sind die Blätter des Maschkeitchens in der Lage, einen Stachel oder einen Spreißel („Schiwwer“) zu entfernen. Wie dieses Kraut wohl auf Deutsch heißt? Und der/die Blångtch (Schöllkraut) auf die Warze aufgelegt, zaubert diese innerhalb eines Tages weg. Eine vielfältige Heilwirkung wird der Gärtesålw (Salbei) zugeschrieben, frisch oder getrocknet, als Tee zum Gurgeln bei Halsschmerzen oder für Umschläge bei Verstauchungen. Auch gegen Schuppenflechte (sog. „40er-Krankheit“) und sogar gegen Motten soll sie helfen! Ob Salbei in Siebenbürgen auch als Küchengewürz verwendet wurde? Fragen über Fragen! Bei der Zuckerkrankheit hingegen muss man streng Regim (Diät) halten.
Ich bän åf dem Kuockeschblaut (wörtl. „auf dem Hahnenblatt“) ist keine Krankheit, eher ein Allgemeinzustand und bedeutet „Ich gehe auf dem Zahnfleisch, ich bin am Ende“ oder möglicherweise „Ich bin auf 180“?
Äm Krǝ:m (Wochenbett) ist ebenfalls keine Krankheit, aber etwas Schonung tut der jungen Mutter gut: Ihre Verwandten, Freundinnen und Nachbarn werden ihr im Zoicker (viereckiger Tragekorb mit Klappdeckeln) eine kräftigende Schluppesupp (Hühnersuppe mit selbstgemachten Fadennudeln) im reich verzierten Gevådderschässelchen (kleine Suppenschüssel aus Steingut oder gar Porzellan) vorbeibringen, außerdem Vogelsmilch und Kråppen (in Franken heißen sie Schneeballen). Das hat sich die junge Mutter verdient.

Astrid K. Thal, geb. Schneider, im Juni 2024

De(r) Blångtch (Schöllkraut) zaubert Warzen weg (Foto: A.K. Thal)

Stolzenburger Wortschatzkästlein: Richtʼ dich! V’richt dich! Tu dir was an!

Im Stolzenburger Dialekt, wie auch in anderen siebenbürgisch-sächsischen Ortsmundarten, spricht man gern reflexiv, verwendet also – häufiger als in der Hochsprache – das Wörtchen „sich“, wobei die Bedeutung dann oft von der ursprünglichen abweicht, z. B. der Ausdruck sich auskleiden:„Stell dir vor, jetzt hat sich auch die Kathi aus der Obergasse ausgekleidet! Sie geht jetzt herrisch!“ Das bedeutet, die betreffende Person hat die traditionelle Bauerntracht abgelegt und die Kleidungsart der Städter, wa de Herren, angenommen.
Wenn man eine Reise oder einen Thiaterbesuch vorhat, muss man sich erst wechseln, also die Alltagskluft ablegen und sich etwas „Anständiges“ antun: „Dä dich un!“ = zieh dich an! Es kann auch gipfeln in: „Ich hab keine Zeit, ich muss mich richten!“, d. h., dass man sich zurechtmachen möchte. Und damit man unterwegs nicht verhungert, sackt man sich eine Kleinigkeit zum Essen ein.
Wenn sich für die Fahrt mit Autostopp (per Anhalter) mehrere Personen in ein kleines Auto zwängen müssen, weil wieder mal der Autobus ausgefallen ist, hofft man, dass sich alle darin bedrehen, denn wer keinen Platz findet und zu Hause bleiben muss, der wird sich sehr bekridden (traurig sein).
Will man in einer großen Menschenmenge mitbekommen, was auf der Bühne passiert, muss man sich hoipern, also auf die Zehenspitzen stellen, um etwas zu sehen. Ratsam ist aber, sich im Gedränge mit keinem zu bekätzen, denn womöglich muss man sich dann noch für sein Handeln verimpfern? (verantworten). Zu empfehlen ist, sich mit dem Kontrahenten schnell wieder zu verkommen (versöhnen) oder aber sich unbemerkt zu verschnüren, zu scherjen oder sich zu ruommen (verschwinden, sich schleichen, das Feld räumen). Muss man sich jedoch behaupten und Mut beweisen, nimmt man sich ǝn Dräft (Schwung, Anlauf nehmen) und lässt sich nicht, während die Freunde einen anfeuern: „Net luoss dich!“ Hat man sich überdreht, muss man wieder aufstehen, denn gleich folgt die Aufforderung: Läft dich!– auch wenn man sich gern erst ein wenig erblasen möchte (Luftholen, da außer Atem).
Sich beschidden, beschmuddern, einschweinzen, vollschweinzen und sich betrepsen gehören alle in die Kategorie „sich bekleckern, sich einsauen“.
Sinnloses Basteln oder Herumwerkeln, auch Tästern genannt, und dabei mehr kaputt machen als reparieren, bezeichnet man in Stolzenburg als sich spielen: „was (warum) spielst du dich hier herum(mer)?“ Hingegen bringen sich zǝgremmeln (sich bemühen, meist ohne Erfolg) und sich verfressen (sich ärgern, grämen) nichts außer Kummer und graue Haare.
Dafür ist sich verkrüppeln ganz harmlos und reparabel, wenn ein Bügeleisen zur Hand ist: „Du hast dich ganz verkrüppelt“ bedeutet, dass deine Kleidung zerknittert ist.
Mit seinem Nachbarn bespricht man sich regelmäßig, nämlich im eigenen Weinkeller. Dort braucht man sich nicht zu verkosten (hohe Ausgaben haben) wie im Wirtshaus.
Wer in einen anderen Ort umzieht, der mutiert sich, auf Stolzenburgerisch: hëi mutoirt sich und wenn keiner ihm beim Umzug, also beim Tavern, hilft, muss er sich vrichten: „Vricht dich!“ heißt so viel wie: Sieh zu, wie du allein zu recht kommst!
Auch über sich iwwerstealpen, sich behåbbeln, sich verzirken können Außenstehende sich wundern und über ihre Bedeutung rätseln.
Keine Angst muss man indes um jemanden haben, der sich nur ein wenig umlegen will, denn er möchte sich bloß in die Waagrechte begeben um auszuruhen. Allerdings, wenn einer sich bezahlt hat, so ist er tatsächlich für immer aus dem Leben geschieden. Da die Leute den Verstorbenen nur unter seinem Beinamen kannten, kommt die Frage auf: „Wie hat er sich eigentlich geschrieben? Mächel oder Steifen?“ – „Nein, Seiler.“ –
Aber just ein Tätigkeitswort, das im Hochdeutschen immer die reflexive Form verlangt, nämlich sich verschätzen (falsche Einschätzung von Größen, Zeiten oder Entfernungen) macht bei uns Stolzenburgern eine Ausnahme, denn hier verschätzt man sich selber nie, dafür können andere einen verschätzen. „Danke, dass Ihr uns nicht verschätzt habt!“ bedeutet: Danke, dass Ihr die Einladung angenommen und uns mit Eurem Besuch beehrt habt.

Bemerkung: Es wird auch hier kein Stolzenburger Alleinanspruch auf die erwähnten Wörter, Wendungen u. ihre Bedeutung erhoben. Über Ergänzungen oder Richtigstellungen freue ich mich.

Astrid K. Thal, geb. Schneider, Juli 2024

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