Geschichten aus Stolzenburg
Inhaltsverzeichniss
Der verlorene Nachbarschaftswein
Eine Rebhändeltokana
Der Karfunkelstein
Laurentius Sievert. Das Sievert Haus
Laurentius Sievert. Väterart
Laurentius Sievert und seine Zeit.
Laurentius Sievert. Ladmesch
Laurentius Sievert. Reisen
Laurentius Sievert. Wandlungen
Laurentius Sievert Testament
Der verlorene Nachbarschaftswein
In Kleinschelken war diesen Herbst ungeheuer viel Wein geraten. Und der Wein soll sehr billig und dabei sehr gut sein. Das ist eine vielfach bewiesene Tatsache. Man frage nur, die in Kleinschelken sind oder nach Kleinschelken kommen. Wie man die Brücke vor dem Dorfe überschritten hat, ist man nicht mehr nüchtern. Wie man über sie wieder zurückkommt, soll sehr mannigfaltig sein. Fuhren da dieser Tage einige Bauern aus dem Nachbardorfe Großscheuern nach Kleinschelken um – Nachbarschaftswein für die „Fastnacht“, die dort zwei Tage dauern soll. Sie hatten mehrere kleine „Gebinde“ mitgenommen auf dem langen Großscheuerner Karruder mit der noch längeren Scherigel (Schoßleiter, Schoßkelle)). Im ganzen „gar nah“ fünf Legel (kleine Fässer)
Und sie hatten gut geladen, die tapfern Großscheuer ner bei den Kleinschelker Gevattern. Denn sie waren gerade Männer, die es ausgezeichnet verstanden. Und der Wein war kolossalisch gewesen, und die Kleinschelker Freunde haben in den schönen Kellern noch schönere Trinktöpfchen.
Wohlzufrieden und die Freundschaft der Kleinschelker über alles preisend, machten sich unsere Großscheuerner gegen Abend auf die Heimfahrt. Hei! wie griffen die schönen Füchse aus. Flugs und gefahrlos sauste das Gefährt samt den fünf Legeln auf die Gemeinde Reußen zu. Zwar der Reußener Turm zeigte eine bedenklich schiefe Haltung. Aber er ist ja von Haus aus schief. Und die Fahrt von Reußen nach Stolzenburg bewegte sich in fortdauernden Schlangenlinien. Aber — die Straße ist ja auch in Serpentinen angelegt. Freilich — heute waren diese Serpentinen besonders kraus, so daß man oft mit den Telephonstangen karambolierte. Auch die Straße von der Höhe bis nach Stolzenburg war nicht so sehr beschwerlich; führte sie doch zu Tal; aber — man beschloß dennoch, in Stolzenburg eine kleine Rast sich zu gönnen.
Somit, nicht aus Durst, sondern um den halben Landsmann zu begrüßen, kehrten unsere Großscheuerner in dessen Wirtschaft ein. Dort waren eben, wie gewöhnlich, viele Freunde, und bald entspann sich ein schönes „Lebet“.
Nach einiger Zeit brachen die lustigen Großscheuerner auch von hier auf, verabschiedeten sich, nicht ohne Händel bezüglich der Menge des Genossenen, zu sagen: des Preises, vom Freund und Gevatter, sowie den übrigen Freunden.
Die Straße von Stolzenburg bis Großscheuern ist sehr gut. Es war aber fast stockfinstere Nacht. Trotz alledem langten die Nachbarschaftsweinkäufer wohlbehalten in Großscheuern ein.
Einige der Nachbarn hatten ihrer Rückkunft sehnsüchtig und neugierig geharrt. Sie öffneten das Gassentor und waren behilflich beim Ausspannen.
„Habt Ihr Wein bekommen, Gevatter?“
„Na! Und was für einen! Daß man sich die Kinder vergißt, Gevatter!“
„Wo ist er?“
„Dort im Wagen, Gevatter! Das soll eine Fastnacht geben!“
„Aber hier sind nur zwei Gefäße, Gevatter!“ „Zählt besser! Oder könnt Ihr nur bis zwei zählen? Fünf, Gevatter, fünf! Und mit was für einem Wein!“ „Meiner Seel! Ich sehe nur zwei Köfker !“ (kleine Fässer) „Na — so soll doch! Haltet still! Laßt mich sie Euch zählen, Gevatter.“
Der Nachbarschaftsweinkäufer zählte, zählte. Er kam auch nicht über zwei hinaus.
„Hört her, Gevatter“, rief er seinem Einkaufsgenossen zu, „kommt und zählt Ihr, denn ich bin, mir scheint, nicht mehr, rechnungszufähig; wie die in Reußen sagen.“
Die Genossen kommen, zählen, grübeln im Wagen, sehen sich einer den anderen an, zählen wieder, allein — „so sag ich nichts mehr! — es sind richtig nur zwei Köfker da. Drei: zwei Fünf-Eimer- und ein Drei-Eimer – Legel sind verschwunden.“
Und sie haben ja fünf in Kleinschelken gefüllt. Sie sind mit fünfen in Stolzenburg eingekehrt. Und sie haben doch die Scherigel am Wagen gehabt, die noch daran ist, unverrückt.
„Es gibt doch Mär und Zeichen! Und wir haben ja nirgends überschlagen, he Gevatter! Wir waren ja nur einmal ein wenig fehlgefahren, in die Stolzenburger Mühle.“
„Na — daß dich dieser und jener!“ Allein, man hob aus dem Wagen nur zwei Gebinde, und auch von diesen war eines nicht für die Nachbarn gekauft.
Den anderen Tag ächzte ein Großscheuerner Wagen im tiefen, neuen Schnee nach Stolzenburg.
Gevatter hier, Gevatter dort, Gevatter dies und das, zwei von fünf, eins von drei — ; aber — die drei Köfker finden sich nirgends. Sie waren — „abhanden“.
Einige Tage darauf fanden Kinder auf dem Eise in der Hinterbach ein Drei-Eimer-Legel. Es war aber nicht mehr voll, sondern leer, ganz leer. Denn — der Klein-schelker Wein ist heuer besonders gut und daher besonders süffig.
Und die anderen Köfker, die zwei Fünf-Eimer-Legel? Man forscht noch immer nach ihnen, samt ihrem teueren Inhalt, dem guten Kleinschelkener Wein!
Erschienen in Stolzenburger Gestalten und anderes aus Siebenbürgen, Kriterion Verlag Bukarest 1974 Autor Johann Plattner.
Eine Rebhendeltokana
Wem wässert nicht der Mund, wenn er von Rebhuhnbraten hört? Eine Rebhendeltokana soll ihn noch übertreffen. So erzählten wenigstens die Jäger des Dorfes Stolzenburg vor einigen Jahren.
Großartig hatte sie geschmeckt. Nichts ging ihnen über eine Rebhendeltokana. Einige Tage. Nachher — lachten sie nur so für sich hin, wenn man sie darnach fragte.
Und das trug sich so zu. Eines schönen Wintertages vor etlichen Jahren wurden alle Jäger von Stolzenburg alarmiert. Eine Gesellschaft von Jägerherren war aus Hermannstadt eingetroffen. Man sollte gemeinsam jagen und dann nachher — — na, man weiß ja, wie es mit Herren aus der Stadt nach der Jagd zugeht. Besonders nach einer glücklichen, das heißt beutereichen Jagd. Und mit solchen Herren: dem Wirt vom „Letzten Heller“, dem witzigen Groß und seinen Freunden. Er hieß zwar Nagy, war auch ein Ungar. Aber, weil er sächsisch redete wie ein Sachs, so hießen ihn alle sächsischen Bauern Herr Groß oder Gevatter Groß. Denn der stillustige, spaßreiche Wirt vom „Letzten Heller“ ward oft zu Gevatter geladen.
„Also, meine Herren Stolzenburger. Gibt’s noch Hasen?“ fragte der Groß-Nagy nach seiner Ankunft „beim Sill“ die prompt erschienenen, stämmigen und langfüßigen Stolzenburger.
„Genug, Herr Groß. Genug, es ist heute nur ein wenig frisch, sie werden nicht halten, die Lumpen!“
„Ach was! Die Nuller (Schrotgröße für Hasen) sind ja schneller wie wir!“ rief ein anderer.
„So ist es! So ist es!“ tönte es unter heiter-fröhlichem Lachen in der Runde.
„Also, heit! Machen wir uns auf!“ rief ein ungeduldiger Städter. „Die Zeit vergeht mit Schaden.“ — „Ein wenig schmieren, Herr Nagy! Ein wenig schmieren die Maschine, von inwendig her, gleich rutscht man besser auf dem gefrorenen Schnee!“
„So ist es! So ist es! Pravos! Pravos!“ rief es von allen Seiten. Und man trank die nächste Stamperlrunde und — noch eine.
„Haben die Herren Stolzenburger etwas mitgenommen?“ fragte Groß.
„Ohne die Tschutra geht bei uns niemand auf die Jagd. Sie wissen es ja, Gevatter. Haben — die Herren —
etwas?“
„Selbstverständlich! Wer wird sich hier aushalten lassen? Also heit, heit! Gehen wir! “ drängte Groß.
Und sie ging, die gemischte Gesellschaft. Die Städter, Herren in Stiefeln und Gamaschen mit grünen Strümpfen über den Knien, Jagdröckel, Muff und befederten Kappen, die Stolzenburger in ihrer leichten Wintertracht, über den Rücken den Lodenmantel umgeworfen, sieben Jagdhunde oder Bracken gingen „gezoppert“, das heißt zusammengezogenen Bauches, hinterdrein.
Ohne diese Bracken geht ein sächsischer Bauernjäger nicht jagen. Auch wenn’s, wie jetzt, aufs freie Feld geht. Sie bringen die Hasen gar gut aus den tiefen Gräben mit den vielen und dichten Weidengebüschen.
Unter munteren Reden erreichen sie das Dorfende und teilen sich. Rechts und links vom Graben. Der dicke S. trippelt mit leichten Schritten, trotz seiner Falstaff-Figur und den hundertdreißig Kilo Gewicht, hin und wieder streckenweise rutschend, in den Graben hinein und nimmt die Sohle desselben. Die Städterherren tragen die Gewehre auf den linken Arm gelegt, mit gespanntem Hahn, halb schußfertig. Denn sie denken, hinter jedem Weidengestrüpp springt „einer“ auf. Die Stolzenburger haben das Gewehr auf der Schulter hangen oder auch um den Hals gehangen. Auch gespannt, damit sie schießen, wenn er kommt. Alle Hunde sind in den Weiden und stöbern. Plötzlich ein Höllenlärm. Der Tambor hat einen aufgemacht und gibt aus Leibeskräften Laut. Die Diana kläfft wie gewöhnlich gleich mit, und der Waldmann, der Bandi, der Vigyäz, der Tromposch und die läppernde ! Waldina stimmen neidvoll von weitem ein. Der dicke S. im Graben doubliert, die Städterherren gleichfalls der Reihe nach in den Graben hinein, zwei Langfüßige laufen vor.
„Lauft, Gevatter, lauft! Er kommt dort drüben, — lauft!“ Und richtig! Dort, etwa zweihundert Schritte weiter, huscht der arme Erschreckte über den Grabenrand, drei Schüsse krachen nacheinander. Der Schnee stäubt zu beiden Seiten, vor und hinter dem armen Hasen. Aber dieser „schneidet es“ munter den Weingärten zu.
„Ta, Diana! Ta-ta-ta-ta! Seha! seha! Uti-ta-ta-ta!“ ruft ein Stolzenburger und zeigt der Diana die Richtung, die der arme Lampe genommen. Gleich sind sieben Hunde da, und die wilde Jagd geht den Weingärten zu.
„Er hat’s! Er hat’s!“ — „Von mir! Von mir!“ — „Ich habe ihm die Wolle abgeschossen, seht sie!“ — „Er hat’s! Er hat’s!“ so ruft dieser, so ruft jener der Gesellschaft.
„Seht hier die Stelle, wo ich auf ihn geschossen!“ ruft der lange S. „Lauter Haar! Und — seht hier, seht! Auch Blut! Er hat’s von mir!“
„Na nehmt ihn Euch, Gevatter!“ ruft der Groß wie freigiebig.
„Ja, nehmen! Hört die Hunde dort unter dem Weingarten!“ erwidert dieser entsagend.
„Still eh! Still“ ruft eine scharfe Stimme. „Stille! Hört ihr die Hunde? Sie beißen sich, eh!“
„Sie haben ihn l“ — „Er hat’s gehabt! Ich sagte es ja gleich!“
„Hat, hat! Aber wir haben ihn nicht!“ — „Lauft, eh Gevatter!“
„Der Teufel kann jetzt laufen! In dem Schnee! Und bis dorthin l“
„Ich zerschlage das Gewehr noch heute!“ ruft, der auf den Graben so gut gehalten.
„Warum, Herr Gevatter?“
„Na — sehen Sie nicht? Es hat wieder nicht Brand gehabt.“ Allgemeines Gelächter.
„Geht mit Eurem Brand, Gevatter! Krummes Pulver habt Ihr!“
„Oder krumme Schrote?“ bemerken sie höhnisch nacheinander.
„Na hört ihr nicht, wie er es bekommen hat? Hört nur die Hunde! Wie sie sich beißen!“
In der Tat! Man hörte in den fernen Weingärten reges Hundegebeiß. „Also heit! Heit, gehn mer weiter!“ ruft ein Städter. Und — man ging weiter. Zu beiden Seiten des Grabens. Der dicke S., der aus dem Graben heraufgelaufen war, wischte sich den Schweiß, als habe er zwei Stunden lang Polka getanzt. Hundertdreißig Kilo Gewicht! Aber er rutschte wieder hinunter auf die Grabensohle. Doch — keiner hielt mehr! Den ganzen Vormittag. Jeder sprang vor zweihundert Schritten auf. Die Hunde nur hatten Unterhaltung. Denn sie waren inzwischen von ihrem Liebesmahl zurückgekehrt. Nur der alte Tambor ging hinter seinem Herrn. Er hatte, was er brauchte — den vollen Bauch.
Bei den „Schiffbäumen“ trennte sich die Gesellschaft. Es war mit dem Graben nichts mehr. Sie nahmen es rechts und links an die hohen Lehnen mit den vielen buschigen Rainen. Auch der dicke S. trippelte munter, aber schweißbedeckt bergan. Nur der Nagy blieb am Graben und ging an ihm entlang bis an das Feldwirtshaus dort unten bei Mundra, neben der Bahn. Nichts war mehr im Graben. Gar nichts. „Ei, so soll doch dies und das dreinschlagen“,
murmelte der Nagy vor sich hin, als er im Hof des Wirtshauses eine Menge Hühner und Enten erblickte.
„Das gäbe eine Tokana! teremtete “ (ungarischer Fluch ) Und siehe. Niemand zu Hause! Das ganze Wirtshaus verlassen.
„Wo sind die anderen? Man sieht keinen! Sie dou-blieren eben dort im Felde. Auf Rebhühner — man hört’s an den Schüssen. Ah was! Hier hab ich sie leichter!“ Und puff, puff, doubliert unser Nagy-Groß in das Hühner- und Entenvolk des Hofes.
Fürchterliches Geschrei der Enten und Hühner! Wie wenn zehn Habichte auf einmal zwischen sie gefahren. Noch ärger. So, daß einige Mundräner voller Neugierde und Verwunderung über die Hofzäune blickten. Aber unseres Groß Freude! So sechzehn bis zwanzig Stück wälzten sich im Hofe herum. Einige lagen ganz tot auf dem Rücken, viele schleppten sich mühsam den Verstecken zu.
Rasch war die große Jagdtasche gefüllt, wie noch nie. Auch die des anderen Städterherren, der jenseits des Häuschens vom Weißen Berg auf den Schuß zueilte. Schnell war die Verabredung fertig: heute eine feine Tokana! Feine Rebhendeltokana!
Nicht so glücklich war freilich der Buhoi, der Wirt, als er abends heimkehrte. Noch weniger die Buhoiin. Besonders nachdem ihnen die Mundräner gesagt, was für Vögel dort gewesen.
Mittlerweile war die blasse Wintersonne westlich gerückt. Man mußte ans Heimkehren denken, denn die Gemeinde Stolzenburg war acht Kilometer entfernt. Und heimwärts sind das, nach einem Winterjagdtage, mehr. Und die Sonne läuft an Winternachmittagen anders als der beutebeladene Jäger.
Aber sie schritten im Stolzgefühl, die reichste Beute zu haben, munter und Witze reißend dem Dorfe zu auf der holprigen Komitatsstraße.
Bald stiegen noch einige der Gesellschaft von den Bergen herab und jubelten im Herzen, als sie von der schönen Tokanaaussicht hörten.
Die zwei Jüngsten nahmen den Herren auch die gefüllten Jagdtaschen ab und trugen sie bis nach Stol-zenburg.
Neugierig nach dem Inhalt waren sie nicht. Sie hatten ja Rebhendel genug gesehen.
Die übrigen der Gesellschaft schleppten sich, alle ohne Beute, gesenkten Hauptes, auf anderen, kürzeren Wegen ihren Wigwams zu.
War das aber eine frohe Botschaft, als auf den Abend die ganze Gesellschaft samt dem Ortsamt eingeladen wurde! Und auf eine Rebhendeltokana! Eha!
„Daß aber diese Städter die Rebhühner so gut schießen können!“ bemerkte unterwegs zum Wirtshaus des Sill der lange Danitz zu seinem gleich gut gediehenen Geschwisterkinde, dem Kirchenvater.
„Ja, eh! Ich treffe keines, man sollt` mich gleich erschießen. Im Fluge — im Sitzen schon.“
„So auch ich, eh. In diesem Sommer verschoß ich alle Patronen im Kukuruz auf sie; aber treffen traf ich nicht ein einziges.“
„Na, laßt sein! Es schießen sie uns ja andere! Der Groß, wie der Burger beim Einladen sagte — „
Punkt sechs Uhr war bereits jeder Geladene erschienen. Fast pünktlicher als zu den Sitzungen der Kommunität oder des Presbyteriums. Was sage ich — viel pünktlicher. Noch sogar vor der Zeit, damit man ja ein wenig sich erwärme, auftaue. Jeder brachte eine Maß Wein mit. Das war bei der Einladung so gesagt worden. Die Städterherren gaben die Rebhendel, die von Stol-zenburg samt dem Wirt den Wein. „Eins ums andere, nichts umsonst“, sagt der Dorfsspruch. Nur weiß man ja — die Städter haben immer noch eine kleine Überraschung: Zigarren, guten Tabak, einen feinen Rittmeister (Getränk) und dergleichen. Man verlangt es zwar nicht, denn das stünde nicht gut. Ja man sträubt sich sogar, „lassens gut sein! ich hab schon zu Hause — und auch hier schon..“, aber schließlich — man darf ja auch nicht kränken.
Der Hann, der kluge Fuß vom Eck, kam zuletzt. Schön halbiert, in feinerem Hemd und sehr aufgeräum; jeden Städterherren begrüßte er auf das freundlichste. Alte, werte Bekannte. Und Groß, der alte Gevatter vom Enkelchen her. Bald ging das Essen an. Die Wirtin, wie ja diese Heltauerinnen — immer, „all lächelnd“ trug sie auf. Noch heiterer und liebenswürdiger als sonst. Und voller Lob über diese Jäger aus der Stadt. „Man sieht es halt gleich!“ sagte sie ein über das andere Mal, „Herren sind Herren! Und verstehend halt auch. Wann schießt ein Stolzenburger Jäger so viele und so gute, so ganz ausgezeichnete Rebhendel. In diesem Leben nicht! Auf ein Gewett!“— so schalkte die Sillin den ganzen Abend. Die Gäste lachten und aßen. Man könnte hier mit Recht sagen „wie die Drescher“. Denn es war ja genug. Über sechzehn Rebhendel. Der Wein freilich, der
reichte nicht so lange. Jeder mußte noch eine Maß kaufen, denn nach der Jagd — ! Und dazu nach einer so ausgezeichneten Jagd.
Zuletzt – dem Teufel diesen Groß! Er hatte auch Rum mitgebracht. Eine halbe Maß. Zur Ehre des Amtes und zur besonderen Ehre des Hannen Fuß. „Gevatter Groß!“ ruft dieser einmal, nachdem er so eine halbe Stunde lang „eingepackt“, „Gevatter Groß! Aber fast wie die wirklichen Hendel — zu heißen!“ Er fügte diese Redensart immer seinen Worten ein. Und man verstand sie im ganzen Dorfe.
„Aber viel besser, Gevatter Fuß! was?“
„Das Aroma! Aroma! Merken`s, nicht?“
„Sie haben recht, Gevatter! zu — heißen — nicht viel, nach meinem Kosten, nur, ein wenig — zu heißen! Aber die Tunke, Frau Gevatter Sill — die Tunke — bas-sama Klienhilzken noch einmal.“
„Aber Gevatter Groß! Wie und wo zum Schinder schießen Sie — zu heißen — gleich an die sechzehn Stück Rebhendel?“
„Ja, das muß man verstehen, Gevatter Hann — Augenmaß!““
„Aber — doch — doch, Gevatter Groß! zwanzig Stück — zu heißen — auf zwei Schuß ! Ich hab schon vieles gehört, aber dieses, sagen`s, die Wahrheit! „
„So wahr ich hier Tschai trinke, Gevatter Fuß und Hann! Die waren — alle — auf einem kleinen Platz — zusammen.“
„Ja, ja, wie im Schnee!“ erklärte Danitz, „gekokoloschit“ (zusammengedrängt, zu einem Knäuel verstrickt)
„Mir recht, mir — recht“, wandte der denkende und pfiffige Fuß und Hann ein, „aber — zu heißen, beim — zweiten Schuß auch?“
„Hört, hört, eh!“
„Was zweiter Schuß? Auf einmal drückte ich los. beide Läufe, Gevatter!“
„Tschicha!“ rief der Fuchs, „und Sie — Sie — zu heißen!“
„Ich? Ich überdrehte mich, denn ich hatte mich gebückt; so — so hockte ich — ich überdrehte mich — so lang ich bin.“
„Es muß dich aber auch ein Krachen gewesen sein …“ bemerkte ein anderer.
„Zum Glück über … drehte ich mich am Graben: noch ein wenig, so stürzte ich in den Graben, über die hohe Rutsche dort.“
„Hahaha! dann adje Tokana und Tschai, Herr Groß! Wenigstens diesen Abend!“ rief der Vize.
„Also, es krachte — Gevatter Groß?“ ließ der Hann nicht nach.
„Alle Tauben von Mundra stiegen auf, wie bei einem Uchatius! und die Hühner und Enten beim Wirtshaus — na, ich sage, Gevatter und Hann — wie bei einem Uchatius !“
„Was ist das für ein — Gewehr, eh?“ stieß der Danitz das Geschwisterkind an.
„Also, hier, meine Herren — der Tschai“, rief jetzt die Sillin, denn es ging bereits gegen zehn, und sie wußte aus Erfahrung, beim Tschai sitzt ein Amt auch seine zwei-drei Stunden.
Jetzt erst fing der Abend an! Es mußte auch noch Wein gebracht werden. Bis dieser und jener zehn oder
dreizehn Halbseidelbecher Tschai trank. Es war ausgezeichnet. Ein Abend, zu dem man „Sie“ sagen mußte. Bis um zwei Uhr. Denn als die Stadtherren um elf Uhr fortgefahren, blieb man noch ein wenig sitzen — zum Dischkurieren.
Die Frau Sillin gab dem Hannen beim Scheiden auch ein Paar Strempel, (Beinchen) zwei halbe Bäuche und einen Flügel mit — „für die Gevatterin, die Hännin“ — gerupft, geputzt, zerschnitten, fix und fertig. Es war ja genug noch geblieben von diesen Rebhendeln.
Der Hännin sollen aber diese Rebhendel — sie konnte ihren Mann heute nicht verstehen — immer — wie — Entenfleisch — gerade wie Entenfleisch ..“ „Gar nicht, wie du sagst, Tin eh, wie — Hendel.“
„Zu heißen wie — Rebhendel, verstehst du nicht, du Än?“ sagte dieser dann immer.
Was aber nur dieser Buhoi so früh schon wollte, den nächsten Morgen im Hannenhaus? Der Tag war kaum angebrochen. Und schon war er von acht Kilometer her, hier in der Gemeinde!
Und hatte es sehr dringend, wie die Hännin dem noch im Bett liegenden und eine Pfeife schmauchenden Hann berichtete. Und, er wäre so — wie traurig; was es aber sei, wolle er nur dem Herrn Hannen sagen.
„Heida, heit!“ dachte der kluge Fuß und räusperte sich und legte den rechten Zeigefinger an die Stirnmitte, denn es wollte ihm ein Gedanke kommen. „Laß ihn herein l“ sagte er aber kurz und entschlossen der Frau mit dem teilnehmenden Herzen. Sie ging.
Hann Fuß sprang auf, zündete schnell die Pfeife an — es war noch Großscher Tabak — sah einmal in den gold-berahmten Wandspiegel, setzte sich hinter den Tisch und nahm ein blaues „Journal“ in die Hand.
Bald hörte er ein schüchternes Anklopfen. „Herein!“
„Guten Morgen, wünsche ich — dem Herrn Hannen !“
„Morgen, Buhoi! Morgen!“
„Und daß der Herr Hann samt der werten Familie gesund seien!“
„Danke, Niculae! Danke! Was gibt’s denn so früh, eh Niculae?“
„Ich — ich bitte um Vergebung, Herr Hann — aber, es hat sich etwas zugetragen –“ „Zugetragen? Was eh? Wo eh?“ „Na, bei mir, Herr — Hann — bei mir, in meinem Hof dort unten.“
Der Hann hatte dabei notwendig im Journal zu tun und vertiefte sich da, wie um nach etwas gut zu sehen; dann wie erwachend aus seinen tiefen Gedanken:
„Dort unten? in deinem Hof? Wann, eh Niculae, und — was? Daß ich höre!“ (da drace, da!, (zum Teufel auch!) dachte er sich im stillen).
„Na, ich bitt um Vergebung — es waren gestern Herren aus der Stadt und von — hier–“ Der Hann hatte wieder im Journal zu tun und hörte kaum hin — scheinbar.
„Was — sagst du, he Niculae? Herren, von — von gestern, sagst du?“
„Ja Herr! Ich bitte um Vergebung, zuerst einer — dann zweie — „
„Na? Und? Sag alles, was du weißt! — Wir sind ja — wir! Und was ich, als Herr Hann weiß, das bleibt ….“
„Ich danke, Herr, ich danke! Und — daß ich’s dann kurz sage — alles — „
„Nur zu, nur zu, Niculae!“ ermunterte der Hann, das Journal beiseite legend.
„Ein Herr — hat mir, man sollte es von einem Herrn aus der Stadt gar nicht denken, nicht glauben — Herr Hann.“
„Was eh! Was? Na red doch!“
„Er hat mir — in alle Hühner und Enten hineingeschossen — das ist es.“
„Hm! Hm! ein Herr, aus der Stadt?! Hm! Hm! In alle — na, hat er auch welche getroffen, he?“ Der Hann legt die Pfeife zur Seite.
„Getroffen, wie getroffen, Herr, aber — wie viele stilovit (rum.: schilodit – zu Krüppeln gemacht, schwer verletzt) Hol die anderen der Teufel! Aber — die Hälfte geht jetzt lahm!“
„Ei! Das ist eine schlechte Geschichte, die du da bringst, Niculae!“
„Schlecht und traurig, Herr, besonders für die armen Stilovitigen! Jetzt — im Winter.“
„Also, du weißt es bestimmt? ein Herr — aus der Stadt?“
„Ja, Herr! Ganz Mundra hat ihn gehört, wie im Manöver mit Kanonen –„
„Na – und?“
„Dann haben sie noch eine Tokana gemacht, hier beim Sill, wie ich höre.“
„Das ist der Herr? Das war er? Und — das waren..“
„Meine Hendel und Enten, Herr! Zwanzig Stück! Vierundzwanzig Stück gehen auf einem Fuß und schleppen die Flügel nach sich.“
Der Hann sinnt plötzlich und denkt, denkt vor sich hin und sinnt. Er sinnt und denkt lange. Da springt er auf und tritt mit wohlwollendem Lächeln vor den Buhoi: „He, Niculae!“
„Befiehl, Herr!“
„He – Niculae! Weißt du was?“
„Ich höre, Herr!“
„Ich, ich — kenne den — Herrn!“
„Ich weiß es, Herr Hann! Ich ..“
„Hör her, he Niculae! Was gestern — geschehen ist, dort unten in deinem Hof — mit deinem Geflügel dort — samt den Blessierten, das, he Niculae, wissen nur wir zwei, verstehst du mich?“
„Ich versteh, Herr, verstehe.“
„Und das — bleibt hier, he Niculae, hier — bei uns zweien, verstehst du mich?“
„Verstehe, Herr Hann, verst ..“
„Und du, he Niculae, kannst einmal, kannst meinetwegen auch zweimal — in den Wald fahren — um Eichen, he! verstehst du, he Niculae! I c h zahle sie.“
„Ich danke, Herr, ich danke!“
„Aber — he Niculae, es bleibt bei uns — wie im Grab, verstehst du? Auch — die Eichen.“
„Danke, Herr, danke! Ich bin wie das Grab!“
„Na so! So soll es sein! Wie das –, du kannst gehen!“
Und der Buhoi ging. Und er ging fröhlich, denn — acht Eichen um zwanzig Hendel …
Einige Wochen darauf sitzt der alte Fuß — er wartet, bis sein Wagen nachkommt — beim „Letzten Heller“, beim Groß.
Sie haben zuerst von diesem gesprochen, dann von jenem. Vom Wetter, von der Gicht der Alten — und was gute Bekannte so zu reden haben.
„Aber Herr Gevatter Groß! Diese Rebhendeltok ..“
„Nicht wahr, Gevatter Hann? pompas! wie der Zek-kel ( sagt — was?“
„Aber — Herr Groß ~ zu heißen, Herr Gevatter, dem Teufel — sind Sie doch l“
„Was? Ich? dem T …? Hat jemand was ..?“
„Am anderen Morgen war der Buhoi schon bei mir bei — bei Tagesanbruch, es war kaum licht geworden.“
Jetzt erst fing unser „Letzter Heller“ an zu lachen l der ganze Groß-Nagy schüttelte sich vor Krampfen.
„Also, doch herausgekommen?“
„Dem Teufel sind sie doch, die Herren aus der Stadt, Herr Groß!“
„Na – und?“
„Die Sache — ist gerichtet, Herr Groß!“
„Schon gerichtet? Wie denn?“
„Sie ist ja — gerichtet, zu heißen — ich mußte ja dem Krüppel erlauben, zweimal in — den Wald, um…“
„Na also l Um ein paar Ruten ..“
„Auch um ein paar — Eichen — zu heißen, Gevatter.“
„Jol van, jol van !“ (ung. es ist gut ist gut)
„Jol van, wenn der Bauch voll van, wie unser Zeckel (Szekler) sagt.“
„Aber Gevatter Hann! Sagt aufrichtig! War’s nicht ein prächtiger Abend?“
„Nichts zu reden! Wie kein zweiter! Aber — dem Teuf…“
„Lassen Sie sein, Gevatter. Hendel und Enten wachsen wieder.“
„Am Ende — auch Eichen …“
„Recht haben Sie. Wachsen alle wieder, aber so eine Rebhendeltokana .. „
„Und noch eines, Gevatter Groß!“ sagte der kluge Fuß, von der Türe umkehrend, „von dieser Sache wissen — zu heißen ..“
„Nur wir, Gevatter Hann — persze !“(ung. Natürlich, gewiß)
„Ein Mann ..“
„Ein Wort, Gevatter!“
„Gott erhalt Sie!“
„Helf Gott, Alter!“
Noch lange aber erzählten die Jäger und Geschworenen von Stolzenburg — anderen von der ausgezeichneten Rebhendeltokana.
ENDE
Erschienen in Stolzenburger Gestalten und anderes aus Siebenbürgen Kriterion Verlag Bukarest 1974 Autor Johann Plattner.
Der Karfunkelstein
Eines Morgens, als ich zur Stadt fuhr, befahl ich meinem Knecht, zuerst zu meiner Schottergrube zu treiben. „Wir sollen sehen, Ioane, ob sie nicht noch einige Scherben oder Knochen für das Museum herausgegraben haben“, fügte ich meinem Befehle zu.
Die Knechte lieben es, wenn der Herr besonderen Anordnungen auch einige Erklärungen ihres Grundes anhängt. Sie fühlen es dann sichtlich dankbar, daß man sie in das Interesse zieht, würdigen dieses durch freudigwilliges Gehorchen und interessieren sich mit an dem Vorhaben.
Bald stand der Wagen vor der Schottergrube, in welcher zwei Parteien an getrennten Stellen arbeiteten. Denn an die gefundene, gute Schotterschichte läßt der Finder keinen anderen hinzu. Es war der alte 75jährige Sachs dort und ein Zigeuner.
Sie hatten mich zwar schon vorher anfahren gesehen, aber sie stellten sich, als wäre dies nicht im geringsten der Fall. Denn — es war in letzter Zeit etwas zwischen uns gekommen. Und das waren die Pflastersteine, die sich auch reichlich in der Grube vorfanden.
Von diesen Pflastersteinen gebührt sich laut Übereinkommen ein Drittel ihres Verkaufspreises mir. Aber trotzdem sich die besseren Wirte der Gemeinde, selbst solche vom nahen Großscheuern, mit den Steinen von dieser Grube die Höfe pflastern, wurde an mich seit einer langen Zeit kein einziger Kreuzer abgeführt. Er hat ja genug, dä-i dracului ( zum Teufel), pflegen sie in solchen Fällen zu denken und auch zu sagen — besonders beim Pfarrer. Und als ich dann zur Grube ging und die Schottergräber zur Rede stellte, sagte mir der Sachse: „Gnädiger Herr! (so betitelte er mich, um mich weicher und geneigter zu stimmen), über alle Steine, die hier dieses Jahr gegraben werden und werden sollen, habe ich die Verimpferung‘ (Verantwortung) übernommen beim — Unternehmer, ich muß sehen, daß die nötige Anzahl Kubike gewonnen wird, und ich muß trachten, daß jeder
zu seinem Geld und Recht kommt… ich hab den, Kontrakt hier, hier bei mir..“ Dabei schlug er mit der Handfläche einige Male und nachdrucksvoll auf den breiten Ledergürtel. „Der gnädige Herr haben zwar viel gestudiert und sind auch gescheiter wie wir entschuldigen Sie! aber..beim Kontrak kennen Sie sich nicht so aus wie ich..Lassen Sie das Jahr zu Ende gehen… dann redet der Kontrak und — dann bekommen auch Sie, was Ihnen gehört!“
„Ja“ erwiderte ich, „Herr.. Direktor, muß ich sagen… entschuldigen Sie auch“ — er wischte sich verschmitzt lächelnd mit der oberen Fingerseite den grauen Schnurrbart .. „habe ich überhaupt noch ein Recht, hier etwas zu reden, oder — befiehlt hier jetzt bloß — der Herr Direktor?“
„Na, ich hab zu bitten .., hier befiehlt ja natürlich der gnädige Herr, soll auch befehlen, aber — ich habe hier, hier den Kontrak, und der redet, und mit dem bekommen Sie auch, was sich Ihnen gebührt.“
„Damit bin ich aber nicht zufrieden, lieber Freund“, antwortete ich, „denn ich habe, wenn auch nicht bei Ihnen, mit solchen Vertröstungen schwache Erfahrungen gemacht“, entgegnete ich, „und wenn ich nicht von allen vier Parteien, die hier graben, in zwei Wochen mein Teil für die weggeführten Pflastersteine erhalte, so sperren wir die Grube zu. .. samt … dem Kontrak…“
Doch bis heute, wo ich wieder zur Schottergrube kam, hatten alle Parteien nicht einen einzigen Stein bezahlt. Deshalb stellten sie sich auch, als hätten sie mein Kommen gar nicht bemerkt.
Ich tat auch, als bemerkte ich sie samt dem Gast, der am Rand der Grube stand, dem Ortswasenmeister Sonu (früher hieß man ihn „Schinder“, romanisch hînghier == Henker, jetzt darf man dies nicht mehr. Er duldet es nicht.) Ich ging um die Grube herum und suchte nach Tonscherben oder sonstiger archäologischer Beute. Solche war gerade in letzter Zeit wieder reichlich zum Vorschein gekommen. Neben Tonscherben aus slawischer Zeit auch ein prähistorisches Hirschgeweih und ein kolossaler Oberschenkel eines Rhinozeros.
Das Ignoriertwerden gefällt auch den städtischen Leuten nicht. Einen vom Lande bringt es aber sofort außer Rand und Band. Ihn… nicht zu bemerken, gar nicht zu bemerken, mit keinem einzigen Blick. .. das kommt dem Landsohn oder gar der Landtochter ganz und gar nicht heraus, ist unter Umständen eine vollständige Kränkung, ja Beleidigung.
Dies merkte ich auch gleich daran, daß die Schläge der Rodhauen immer seltener wurden; doch ich — stellte mich weiter, zog meine Forschungskreise immer enger, und bald hörte ich den Alten fragen: „Was suchen denn der gnädige Herr?“
„Ach! Sie sind hier, Herr Direktor? Guten Morgen! Ich hab Sie gar nicht gesehen!“
„Guten Morgen“ erwiderte der Alte, die Rechte an die Hutkrempe führend und wie ermüdet seufzend .. „Suchen Sie etwas?“
„Na, ich sehe nur nach, ob Sie nicht noch einige Knochen oder — eine Komare (Schatz) gefunden haben.“
Sofort stellte sich bei meinem Direktor („Drektor“ sagte er) die gute Laune ein. Einmal, weil ich nicht tri-bulieren kam und dann durch Erwähnen des belebend wirkenden Schatzes. Sogleich feierte alle Grabarbeit.
„Ja — den Schatz … den hat ein anderer sich genommen, der glücklicher war als wir.“
„Genommen? wer denn .. ?
„Na, der Pitter!
„Der Pitter Tin?“
„Ja! der Pitter Tin.“
„Und davon sagt man mir wieder nichts?“
„Ha! Er hat es auch uns nicht gesagt! Überhaupt niemandem.“
„Von woher wissen Sie ..?.. „Sie haben es schon gut gesehen, die hier im Tranche-ment wohnen!“
„Na, wann war das?“
„Vor zwei oder drei Jahren! Ich hatte eben dort drüben gegraben und ward dann vom Regen verjagt. Als ich am nächsten Tage wieder zur Arbeit kam, da war ein Teil der Schotterwand eingestürzt, und an der Stelle fand sich der Abdruck eines Topfbodens. Ganz deutlich, daß es jeder erkennen konnte. Ich fragte gleich in dem Tran-chement, wer gestern oder heute früh bei der Grube gewesen ?
„Na, der Pitter Tin“, sagte mir einer. „Err hat mit dem Wagen Schottersand gebracht Auch das ist zwar verboten, aber hier ist das Feldpolizeigesetz noch stark bloß auf dem Papier.“
„Ja, aber Schottersand und Schatz sind doch nicht dasselbe … ?“
„Ich bitte nur ein wenig! Nur ein wenig! Den Schotter hat er aus der nächsten Nähe des Einsturzes genommen .. “ „Na – und .. ?“
„Und wie er durchs Tranchement hergefahren kam, hatte er das Kleid (Röckel) an…“
„Und … ?“
„Und wie er durchs Tranchement zurückfuhr, da hatte er es, trotzdem es gegen Abend und kühl war, ausgezogen und auf dem Sand ausgebreitet — maram (= gleichsam) um etwas zu verdecken .. meine Komare.“
„Es muß ja nicht ein Schatz gewesen sein!“
„Nicht? Aber — wie er sich nachher den großen Grund vom Zeibij kaufte, dort in ….. in, wie heißt er doch? … dort bei Mediasch … na! es ist mir jetzt ganz aus dem Kopf gefallen .. in Durles .. da antwortete er auf die Frage, ob er ihn auch werde zahlen können: „Ich hab, was ich brauche!“
„Gehen Sie!“
„Ja wahrlich! So sagte er. Also .. ich bitte! Bis dahin war er ein Schlucker, so wie wir, auf einmal, Ich hab, was ich brauche! Ja! mit meiner Komare!“
„Sie sind selbst schuld! Warum hören Sie bei jedem Regen gleich auf zu arbeiten und laufen ins Wirtshaus ? . . . Aber, wenn Sie jetzt noch eine finden, dann — den dritten Teil. . „
„Ich brauche keine Komare … ich möchte nur etwas anderes finden!“
„Was denn?“
„Etwas ganz anderes, etwas viel Feineres „
„Noch Feineres?“
„Ich möchte nur einen ,Kalefunkenstein (Karfunkelstein) finden .. mehr nicht!“
„Einen Kalefunken … was ist das?“
„Ha! Einen Kalefunkenstein .. und man braucht nichts mehr, Herr!“
„Na, wie sieht er denn aus?“ (Ich stellte mich jetzt auch ein wenig, wie sie hier sagen.)
„Wenn man einen Kalefunkenstein hat, Herr, … nur so groß wie ein Apfel, … dann braucht man keine Kerze, keine Lampe, auch — kein Alektrisches.“ (Elektrisch bezeichnet den hiesigen die große Kraft nicht genügend, darum sagen sie: Alektrisch = elektrisches Licht.)
„Nana! Wieso denn?“
„Mit einem solchen Kalefunkenstein erleuchtet man einen ganzen Saal, Herr! Und wäre er so groß, wie von hier bis zur Straße dort drüben.“
„Was Sie da sagen! …. Wo findet man denn diesen Kalefunkenstein? Im Schotter?“
„Den findet man, wo ihn unser Herrgott gibt!“
„Hat man denn solchen schon irgendwo gefunden?“
„Ja! Dort drüben am Alt hat einmal einer einen gefunden, so groß wie eine Kappe. (Merkwürdige Dinge werden gewöhnlich in die Altgegend verlegt.) Er hat ihn dann teuer verkauft, so teuer, daß er sein Lebtag nichts mehr hat arbeiten müssen.“
„Und wo könnte man einen solchen Stein sehen?“
„Na, Herr … . . bei uns .. sind solche nicht zu sehen .. Aber dort oben … in den großen und reichen Städten … bei den Grafen und Fürschten!“
„Wie heißt man diesen Stein auf romanisch?“ fragte ich die beiden zuhörenden Romanen, um meine Kenntnisse, wenn möglich, bezüglich des schön funkelnden (Kalefunkel!) Steines zu ergänzen.
Die beiden hatten bis dahin aufmerksam zugehört, denn sie verstehen, wie fast jeder hiesige Romane und Zigeuner, gut sächsisch, reden es aber nur schwer, d. h. gezwungen …
„Also — wie heißt dieser Stein romanisch?“ fragte ich die beiden Zuhörer dieser Sprache.
„Piaträ scumpä“ (teurer Stein), antwortete der eine.
„Habt ihr ihn gesehen?“
„Ja!“ antwortete der Zigeuner. „Und was für einen schönen! Mein Gott!“
„Wo denn?“
„Auf dem Kopfe einer großen Natter.“
„Es war der König!“ setzte der zweite, der Wasen-meister, hinzu.
„Wo denn? Erzähle!“
„Wir waren dort oben am Hommgraben beim Brunnen. Unserer mehrere, die wir das Vieh hüteten. Ich ging auf die andere Seite des Grabens, um mein Vieh zu dem anderen zu „kehren“ da kroch vor mir eine lange Natter mit einem großen und schönen „Teuren Stein“ auf dem Kopfe.“
„Es war der König!“ betonte der zweite wieder …..
Der alte Sachse hörte aufmerksam hin.
„Ich bleibe stehen, sehe der Natter nach…. bis an den Rand des Hommgrabens … und laufe dann schnell nach, um zu sehen, wohin sie sich verkriecht. Aber ehe ich an den Rand komme, hebt sich die Natter und schwingt sich in einem großen Bogen mitten in den Bach hinein und verschwindet dort im Wasser … Wehe mir! dachte ich, warum habe ich sie nicht mit der Ochsenpeitsche getötet und den Stein ihr genommen?“
„Es war der König!“ fügte der zweite wieder hinzu … „Er sorgt auf seine Krone! …“
„Was redest du da?“ unterbrach der alte Sachse. „Du kannst den nicht mit einer Peitsche töten … Du kannst nicht. Da mußt du etwas anderes haben, oder …“ „Oder?“ frage ich.
„Oder .. . der ist selbst dem Teufel, der ihn hat töten wollen. Ja — wahrlich!“
„Es war der König! — Hört jetzt, was ich euch erzähle“, setzte wieder der Wasenmeister ein.
„Ich hab ihn auch gesehen .. so nahe wie dort, bei Euch, Herr“
„Na, wo sieht man denn solche Nattern?“ fragte ich aus meinen Gründen.
„Die findet man“, erwiderte der Unterbrochene, „entweder im oder bei einem tiefen Wasser, oder im Wald unter dem Haselstrauch … So ging ich einmal in der Boschka im Wege so dahin, da .. vor mir .. in einem Haselstrauch .. lauter Nattern! So viele, daß man einen ganzen Tragkorb damit hätte füllen können.“
„Sie hatten ihre Versammlung! “ sagte der Sachse …. „war er nicht auch dort?“ …
„Während ich so hinsehe, wie sie durcheinander hin- und herkriechen, immer in Kreisen .. . da funkelt es … und funkelt es in ihrer Mitte, wie wenn ein faustgroßer Stern, einer von den größten des Himmels, zwischen sie hineingefallen wäre … Die Augen schmerzten mich, daß mir die Tränen rannen, so stark funkelte der Stein auf dem Kopfe des Königs.“
„Hört nur, hört!“ bemerkte ich, aufrichtige Bewunderung zeigend, was man in solchen Fällen tun muß, will man die Leute ausführlich zu Ende erzählen machen. Im anderen Falle hören sie bald auf, weil man als Ignorant dasteht …
„Na warum hast du ihn nicht getötet?“ fragte der Zigeuner …„Alberner (prostule) !“
„Ich hatte die Axt bei mir .. aber .. . . wer hätte sich getraut, sich gegen den Natternkönig aufzumachen?!
Zumal, wenn Versammlung ist! Ich sah aber lange zu … wie der König … er was so dick wie mein Arm hier — mitten im Kreise lag, wie er den gekrönten Kopf mit den großen Augen einmal nach dieser, dann nach einer anderen Seite der Versammlung wendete, gleichsam als spräche er und gebe Weisungen und Befehle. Die anderen Nattern wanden sich stille untereinander und durcheinander und bestrebten sich, das Angesicht des Königs zu sehen und ihn besser zu verstehen ….. Mir kam dann in den Sinn, wie gefährlich es für das Leben eines Menschen ist, wenn sich der König ärgert . . . Wenn er dich gesehen! dachte ich, und fort schlich ich mich, in den Wald hinein. Nach einer Weile blieb ich stehen, schöpfte Atem und . . fühlte nach meinem Hut .. . . Richtig! wie wenn ich einen Wolf begegnet hätte, so hatte sich mein Haupthaar samt dem Hute gehoben! . . So sah ich den König der Nattern! Es war jedenfalls der, den du dort am Graben gesehen! . . Bei Haselsträuchern und in der Nähe vielen Wassers . mit Sorgfalt! …“
So meine Leute von der Schottergrube vom Karfunkelstein. Ich wünschte ihnen, sie sollten das Glück haben, recht bald ein jeder einen „teuren Stein“ zu finden; sie würden ja dann das mir gebührende Drittel besser und pünktlicher ausfolgen, als der Herr „Drektor“ das von den Pflastersteinen.
Während ich zum Wagen ging, um die etwas lange unterbrochene Fahrt fortzusetzen, hörte ich hinter mir rufen „Der Kontrak ist hier bei mir und der redet schon!“
An einem der nächsten Tage suchte ich die älteste Schwester Anna auf, um von ihr, die sehr viel des Interessanten aus dem Leben des Dorfes wußte, Näheres über den teuren Karfunkelstein zu erfahren. Sie pflegte dann,
ins Erzählen gekommen, wie eine Seherin, mit den halbgeschlossenen blauen Augen gar anschaulich und mit ganzer Herzenshingabe ihr reiches Wissen von „Geschichten“ zu zeigen.
„Ja. … ja freilich!“ meinte sie, „haben die Könige der Nattern den „Kalefunkenstein“ auf dem Kopfe. Und sie hüten denselben wie ihr Leben . . Hatte nicht der Seiwert Merten in der Krummau mit einem solchen zu tun gehabt?
Er kam als junger Mann mit dem Knecht, den Wagen beladen, aus dem Wald. Da liegt auf einem Baumstumpf unweit des Weges eine große Natter, einen glänzenden Karfunkelstein auf dem Kopfe, und schläft in der Sonne. „Halt, he! Nimm dir auch eine Axt und komm! Wir töten sie und nehmen ihr den Stein!“ ruft er dem Knecht zu. Sie schlichen sich auf den Zehen und ohne Geräusch vor. Aber die Natter spürte sie, und wie sie die Nahenden bemerkte, hob sie sich mit dem Vorderteile zehschlecht in die Höhe, streckte den Kopf mit den zornigen Augen und der gespaltenen Zunge gegen sie und schlug mit dem Schwanz, wie wenn sie sich zum Sprunge richtete.
Erschreckt eilten die beiden zum Wagen und mußten ordentlich in die Pferde hauen, denn die Natter verfolgte sie ein gut Stück vom Walde weg bis zur fernen Krumm-aubrücke.
Und dann — der Mann mit der Karfunkelnatter im großen Teich „Hinter dem Reg! Er hatte der Natter zugesehen, wie sie aus dem Teichrohr hervorkam. Zuerst mit dem Karfunkelstein. Dann badete sie mitten auf dem großen Spiegel, in dem sie sich fort hin und her warf, gerade wie wenn Menschen baden. Aber jetzt hatte sie keinen Stein auf dem Kopfe. Als sie gebadet hatte, zog sie sich in ein kleines Röhricht zurück und erschien dann, stolz wie ein König, wieder auf dem Spiegel, und wieder mit dem Steine auf dem Kopfe mit einem Geblinker, daß das Auge dessen Glanz kaum aushalten konnte.
Der Mann ging zu einem Wahrsager unter das Gebirg. (Die Wahrsager wohnen meist in den Dörfern am Fuße des Fogarascher und Zibinsgebirges oder in einem der Dörfer am Kaltbach, in der waldreichen Gegend des Höhenzuges zwischen Hermannstadt und Birthälm.) Der Wahrsager gab ihm folgende Lehre: Der Natterkönig sorgt auf seine Krone, was er kann. Er ist auch wie verantwortlich für sie. Denn neun Nattern wählen immer eine zehnte aus, versammeln sich um sie und setzen ihr mit ihrem Mund die Krone auf das Haupt. Diese besteht dann anfangs aus 9 kleinen, leuchtenden Punkten, die mit der Zeit in 7 Jahren, aber nur, wenn die Natter in diesem Zeitraum von keinem Menschenauge gesehen wird, sich auswachsen, in eins sich vereinigen und dann den kostbaren Karfunkelstein bilden. Dieser ist zum ersten sehr teuer, zum zweiten kann sein Besitzer durch alle Türen eintreten, wo er nur will, und seien diese noch so fest verschlossen. Kommt der König in die Nähe eines größeren Wassers, oder hat er daselbst länger seinen Aufenthalt, so badet er jeden Tag um die Mittagszeit. Bevor versteckt er die Krone an einem verborgenen Ort, wohin nach seiner Meinung kein Menschenauge dringen kann. — Willst du nun die Krone deiner Natter erhalten, so nimm ein Pflugrad, passe in die Achslöcher desselben zwei starke, festschließende Stopfen. Dieses Rad lege, eines der Achslöcher verstopft, am frühen Morgen, wenn der König noch schläft, in das Röhricht und verstecke dich so nahe als möglich und so gut als
möglich.
Wenn dann die Natter gegen Mittag sich zum Baden anschickt, kriecht sie zuvor im ganzen Röhricht herum, sieht, ob kein Feind dort sei, und sucht ein passendes Versteck für die Krone. Dein Achsohr wird ihr gewiß als das beste erscheinen, und sie legt dann die Krone dort hinein. Dann eile aber auch gleich zur Stelle, damit du dort bist, wenn sie in der ersten Badelust begriffen ist. Du stopfst dann auch die andere Seite der Öffnung in der Achse fest, fest zu und läufst dann mit dem Rade und der Krone davon, was dich die Füße tragen. Denn wie die Natter eine Weile sich der Lust des Badens ganz hingegeben, sieht sie nach der Stelle hin, wo der Karfunkelstein ist. Merkt sie dann sein Fehlen, und sieht sie dich, und hast du nicht den gehörigen Vorsprung, so ereilt sie dich, und ihre giftigen Bisse löschen dir gleich das Leben aus. Droht dir aber diese Gefahr, so … kannst du dich nur in der Art retten, daß du das Rad mit dem Stein fallen lassest und davonläufst. Sie sucht dann ihre Krone daraus zu gewinnen, und kann sie es nicht, so trennt sie nur ihr Tod von dem Rade …
Voller Freude im Herzen schied unser Mann vom Wahrsager. Der teure Karfunkelstein war nach seiner Meinung bereits sein. Denn als Jäger und Landmann kannte er sich ja im Sichverstecken aus. Und eine Natter, ohne Füße, ihn einholen? .. Das konnte es ja nicht geben ….
Er befolgte alle Lehren des Wahrsagers aufs genaueste und sorgfältigste, und richtig! Der Natternkönig versteckte die schöne Krone in sein Rad, schwamm dann durch einige kleine Blößen des Teiches, deren mehrere dort sich befinden und auf denen im Sommer stets etwas zu sehen ist: ein oder zwei „Wasserhenkeln“ Wildenten oder Schildkröten, und steuerte gerade dem großen Wasserspiegel zu.
Da war aber unser Mann schon auf dem Wege zu dem Rad und dem Kleinod, den zweiten Stopfen fest in der Hand, kam bald zur Stelle, bis an den Gurt im Wasser watend, drückte den Stopfen zuerst mit der Hand, dann mit dem angestemmten Knie möglichst fest in das Ohr, warf das Rad, den einen Arm durch die Speichen gesteckt, über die Schulter und eilte geräuschlos zurück aus dem Teich und Röhricht hinaus.
Draußen angelangt, schüttelte er sich mit dem ganzen Körper, damit das Wasser abfalle, ergriff rasch die eiserne Ladegaffel, die er, als Waffe des sächsischen Bauers, mitgenommen (sie ist noch heute die beliebteste Waffe, weil zu Hieb und Stich gleich gut geeignet), übersprang dann den tiefen Graben in der Nähe des Teiches, die an den verrutschten Ufern derselben befindlichen zahlreichen Schlammvulkane mit ihrem Schaukelmoor, darin man gleich bis zu den Schultern versinkt, kundig meidend, und lief auf den großen Fahrweg, der dort aus dem tiefen Talgrunde heimwärts führt, doch aufwärts, lange aufwärts und stellenweise sehr steil.
Auf der ersten dieser Wegsteilen angelangt, konnte er nicht mehr laufen. Die lange Nachtwanderung, 10 Kilometer Weges, die Aufregung, der scharfe Lauf, sie hatten ihm den Atem fast ganz benommen. Er mußte sich ein wenig ,erblasen, Er stand daher still, schaute aber gleich hinter sich, ob der Gefährliche noch auf dem Wasserspiegel sei? Dieser hatte richtig, gleich nach den ersten Wollustsprüngen in der grünlich schimmernden Flut, zu dem Kronenversteck hingespäht, die Situation, wie er den Räuber seiner Zier dort jenseits des Grabens mit dem Rad laufen sah, gleich erkannt und erfaßt und brach eben aus dem Röhricht heraus und — lief hinter ihm. . . Aber — wie lief der!
So hatte er sich das Laufen einer Natter nicht vorgestellt! Nicht einmal im Traume! Diese Natter kroch ja nicht so, wie er andere Nattern, die Ringelnatter, die Blindschleiche oder die Kreuzotter, oft hatte kriechen gesehen! Diese Natter … sie war ja, wie man zu sagen pflegt, nicht rein ! Sie machte sich in ihrer ganzen Länge steif, ganz steif, wie ein langer Stock oder Klüppel steif ist. Und ihr Laufen bestand darin, daß sie sich einmal auf das Kopf-, dann auf das Schwanzende warf und ihm in solchem Wirbel nacheilte, wie ein Klüppel wirbelt, wenn man ihn, was mancher Bauer und Hirt sehr gut versteht, einen Hang hinunter so wirft, daß er die Erde bald mit dem einen, bald mit dem anderen Ende berührt und wie ein rollendes Rad aussieht.
Der Klüppel aber bleibt nach 10 bis 15 Drehungen endlich am Boden liegen … . Dieser aber, diese Natter, nicht! Nein! Denn sie wirbelte bereits am diesseitigen Grabenufer heraus und setzte ihre unheimliche Bewegungsart wie wütend fort. Wie wenn sie keine Milz hätte — denn nur solche Pferde können, das weiß jeder Bauer, in einemfort rennen, die keine Milz haben! —
Sofort wandte er sich wieder zur Flucht und lief, was er nur laufen konnte.
Als er aber in die Nähe der Eichen angekommen, hörte er es hinter sich, auf dem Wege, laufen . . laufen, wie der künstlich geschleuderte Klüppel läuft, sausend läuft….
Er hatte keine Zeit, sich umzuwenden. Er mußte ja laufen. Es handelte sich ja um so vieles: um das Kleinod im Rad .. um sein eigen Leben!
Doch immer deutlicher hörte er das Sausen des Nattern Klüppels, immer deutlicher das Aufschlagen der Enden … Atemlos hielt er ein und blickte zurück … Da war es ja, das nicht reine Ungeheuer! Nur einige fünfzig Schritte hinter ihm! Jetzt konnte nur noch das Leben in Frage kommen, der Karfunkelstein ….
Rasch warf er das Rad von sich und setzte die Flucht aus allen Kräften fort.
Das Sausen hörte bald auf, und statt der klopfenden Schläge vernahm er Töne, die wie wuchtige Hiebe sich hörten. Erschreckt stand er still und blickte zurück. Und siehe da! Welch ein sonderbares Bild! Die Natter.. auf dem Rad reißt mit dem Mund an diesem, — dann an dem anderen Stopfen und jedesmal, wenn der Stopfen nicht nachgibt, dreht sie sich und schlägt mit dem hinteren Körperende mit solcher Wut und solcher Wucht auf die Nabe, daß es klingt, als schlage man mit einem grünen Hasel- oder Saalweidenklüppel darauf.
Im nächsten Augenblick reißt sie wieder mit dem Maul an dem Stopfen, dann peitscht sie wieder mit dem Schwänze die Nabe, und so wiederholt sich ihr wütendes Bestreben in rascher, immer heftiger werdender Aufeinanderfolge und Abwechslung.
Auf den Verfolgten schien die Natter gar nicht mehr zu achten. Er konnte sich also das merkwürdige Schauspiel ruhig ansehen. Er tat dieses, sich langsam ärschlings‘ zurückziehend.
Und immer wütender, immer heftiger und rascher werden die wuchtigen Leibeshiebe. Bald sieht er hier, bald dort um das Rad etwas zappeln und springen und schlagen. Es sind die einzelnen Stücke, die sich die Natter durch die starken Hiebe vom Schwanz an den Radspeichen und der Felge abgeschlagen.
Und sie zappeln und schlagen herum, auf dem Weg, um das Rad herum, wie die Schwanzenden anderer Nattern, die man abgehauen mit Klüppel oder Ochsenpeitsche.
Da… ein Zischlaut, daß es einen durchgeht! Und aus dem nahen, mit jungen Eichen und Haselsträuchern bestandenen kleinen Graben, auf den angrenzenden Wiesenplätzen kriechen lange und dicke, dicke Nattern heran. Diese kriechen zwar, wie Nattern kriechen, aber hier reckt sich ein Natternkopf, dort ein Natternkopf!
Eine Natter schon ist einem greulich und unheimlich! Erst so viele! Und es kommen immer mehr!
Und… wenn die über dich kommen! Und sie sind ja alle giftig! Eine einzige hat schon manchen Ochsen zu Tode gebissen dort in den Schelzen!
Dem Karfunkeljäger wird die Sache bedenklich, und schweren Herzens, aber eilend macht er sich auf den Weg und kehrt unverrichteter Dinge ins Dorf zurück.
Nach einigen Tagen hörte er: Auf dem Wege bei den „Eichen“ haben sie mehrere große Stücke einer auffallend dicken Natter gefunden. Aber von der ganzen Natter fehlten Stücke und es fehlte… der Kopf derselben. Was von der zerhauenen Natter vor Sonnenuntergang zu zappeln und sich zu bewegen aufhört, das ist tot und bleibt tot. Was aber bis nach Sonnenuntergang zappelt und sich regt, und das ist der Kopf immer, das birgt sich in einem Strauch, unter einer Baumwurzel oder einer versteckten Erdrutsche und wächst sich wieder zu einer ganzen Natter aus ….
Vom Rad hat man nichts mehr gehört. . . Haben es die vielen Nattern auf Geheiß des verstümmelten Königs in einen der nahen Teiche, vielleicht den nahen und tiefen schildkrötenreichen „Stinkigen“ (rom. puturoasä) gezogen? Hat es die Wasserfrau, die sich hie und da im großen Teiche, wo er badete, gezeigt hat, in diesen zurückgeschafft und die Krone gewonnen und dem König wiedergegeben? Das weiß niemand!
Aber . . der Natternkönig lebt noch! Lebt ebendort „Hinter dem Reg“ wo das heutige ev. Kirchenbaumgut ist. Und er hat auch seine Krone wieder, und sie leuchtet, wie ein großes Licht in der Nacht leuchtet. Lebt in dem großen Teiche und zeigt sich auch in den Wäldern, die ringsum das schöne, tiefe Tal umkränzen.. . Hat ihn doch vor einem Jahre ein Jäger gesehen, dort am sonnigen Waldrand der Boschka. Er konnte ihm aber nichts tun. Die Schrote der Flinte „fangen“ an seiner schuppigen Haut nicht. Der Natternkönig scheint auch „fest“ oder „gebunden“ zu sein. Auch jetzt, vor einem Jahre, kroch er garstig blickend in das nahe Randgestrüpp, und der glückliche Jäger kehrte nicht glücklich heim, ohne … Karfunkelstein.“
So — die liebe und freudige Geschichtenerzählerin, Schwester Anna! Sie wußte sie von den Eltern und Großeltern und hatte außerdem viel gelesen, darunter die große Bibel dreimal, trotzdem sie eine der schönsten Bauernwirtschaften besaß und als Siebzigerin einen neuen Weingarten angelegt hatte. Noch drei Tage vor dem Tode, der die 76jährige rasch überfiel, erzählte sie mir Geschichten von Menschen vergangener Zeit, wobei sie von dem größten Hannen-Rivalen ihres Mannes sagte: „Er war doch ein Mann!“
Ich habe noch so geistige und, besonders in der Bibel, belesene Bäuerinnen kennen gelernt; an Feinheit und
Vornehmheit des Wesens kam ihr aber keine gleich . . . Als wir sie in die Krankenpflege geführt, da sagte ihre Schwiegertochter mir auf der Heimfahrt: „34 Jahre leben wir nun zusammen, und sie hat mir noch kein übles Wort gegeben!“
So befindet sich denn die kostbare Karfunkelsteinkrone noch immer dort im großen Teich.
Wer aber in dunklen Nächten dort oben steht, auf dem steilabfallenden Schopfberg neben dem großen Teiche, und das Glück hat, zu sehen, der sieht auf dem tiefen, tiefen Grunde desselben, in einer glockenförmigen Senkung, wahrscheinlich auf dem Boden der dort zu der Tat-ternzeit versunkenen Stolzenburger Betglocke, ein gar seltsam schönes Bild: auf glänzend grünem Mooslager ruht der Natternkönig … die stolze Krone auf dem Haupte; . .. flimmernd und glitzernd wie die Sterne hoch oben am saphirblauen Himmelszelt, das sich dort unten gar wundersam widerspiegelt…. Es ist das Schönste, das ein Menschenauge in der ganzen Umgebung sehen kann!
Ein derartiges Bild hat wohl auch dem Dichter vorgeschwebt, als er das vielgesungene, ewigschöne Lied dichtete, das den geheimnisvollen Ausklang hat:
. . . Da drunten in dem Grunde,
Da dämmert längst der Teich,
Es liegt in ihm versunken
Eine Krone, stolz und reich,
Sie läßt zur Nacht wohl spielen
Karfunkel und Saphir…
Sie liegt seit grauen Jahren,
Und niemand sucht nach ihr.
ENDE
Erschienen in Stolzenburger Gestalten und anderes aus Siebenbürgen Kriterion Verlag Bukarest 1974 Autor Johann Plattner.
Laurentius Sievert. Das Sievert Haus
Schon das Haus, das er sich erbaut, zeugt von einem besonderen Geschmack, von einer Persönlichkeit. Dort in der Angerlgasse in Stolzenburg steht es, Haus Nr. 137. Steht, so fest, so solid, so eindrucksvoll, wie kein anderes Haus der großen Gemeinde.
Als wollte er heute noch, wie vor 150 Jahren, künden: Seht so hat er mich geschaffen, ein solcher Bauersmann war er, mein erster Herr.
Hochparterre. Mit drei Fenstern in der Front. Drei Fenster drückten immer Wohlhabenheit des Besitzers aus. Gewöhnliche Leute hatten bloß zwei Fenster an der Stirnseite. Reiche und Protzige bauten sich Häuser mit vierfenstriger Gassenfront.
Aber auch diese machen und machten wohl auch zu jener Zeit nicht so Eindruck wie dies Sievert-Haus.
Denn diese Maße, diese harmonischen Verhältnisse waren und sind einzigartig. Die Mauern auffallend hochgetrieben, demnach auch die Fenster in einer Höhe wie die der stöckigen Stadthäuser.
Demgemäß auch die Kellerfenster. So das die großen Wassermassen, die von Jahr zu Jahr aus dem weiten Wassergebiet des Gassen- oder „Rosen“- Grabens in solchen Mengen herunterstürmen, selbst Großvieh mitreißend und viele Hauskeller füllend, an die Kellerfenster dieses Hauses nie heranreichen konnten. Die Stirnpartie im richtigen Verhältnis, hoch, schlank, in ihrer Mitte, oberhalb des Gesimses, ein Kranzmedaillon mit dem schönverschlungenen Namenszug.
Die weite Toreinfahrt, in schöngeschwungenem, hohen Bogen übermauert, mit starken Prellsteinen auf beiden Seiten.
Das Zeichen sächsischer Tüchtigkeit. Das aus massivem Tannenholz verzierte Gassentor zweiflügelig, die beiden Mittelfelder mittels sauber nebeneinander genagelter dünner Leisten verziert. Himmelblau war die Farbe des Hauses, an den Rändern und um die Jalousien mit weißem Rand, dunkelgrün der Anstrich des Tores. War dies Tor geöffnet, so bot sich dem Blick das Bild einer wahren Bauernburg dar. Rings um den breiten, langgestreckten Hofraum hochragende Feuergiebel, unter und vor denen die langen Dächer des Fruchtschopfens, des Kelters, der Viehstallungen und Viehschopfen, die großen Maiskörbe, der Platz mit dem Schleifstein und der Hundehütte, der zweiräumige Backofen, die langen Schweinetröge in mehreren Reihen und endlich rechts vom Toreingang der mächtige Viehtrog am Brunnen.
Alles schön gepflastert. An der Hausseite bis zur hohen und breiten Hausstiege, die in den Mittelhof führte, ein erhöhter gepflasterter Gehsteig für die Menschen. Durch das Scheunentor sah man den geräumigen Scheunenhof mit der mächtigen, die ganze Hofbreite einnehmenden Futterscheune, diese alleine mit Stroh gedeckt, aber so fest und so schön gedeckt, als hätten sie Russen gemacht. Dahinter der sächsische Hofabschluß; der Obstgarten mit Blumen und Gewürzgärtchen.
Hier in diesem Hause hat Laurentius Sievert gewohnt, auf und von diesem Hofe aus seine Wirtschaft geführt.
Wenige der heutigen Leute wissen dies und noch wenigere wissen, wen der Name im Medaillon bezeichnet. Der Volksmund schweigt auch. Weil, zu unserer Schande, das Gedächtnis der Leute, besonderes betreffs guter und edler Menschen, auch früher schwach war.
„Wie die Schrift im Sinn hält!“ – rief ein alter Bauer, als ich ihm ein früheres Ereignis aus dem Kirchlichen Gedenkbuch vorlas. Auch hier, bei unserem Sievert hat sie, die Schrift, gar gut im Sinn gehalten; in Gestalt der Kirchenmatrikel und in der ebenso sauber geführten „Teilungs-Protokolle“ sowie der Kontributions oder Steuertabellen an der Neige des achtzehnten Jahrhunderts.
Ihnen verdanken wir die Möglichkeit, uns ein, wenn auch nicht vollständiges, so doch ungefähres Bild zu entwerfen von einer „kernigen sächsischen Bauerngestalt vor 150 Jahren.Hören wir zunächst die Kirchenmatrikel. Dort lesen wir, und zwar in der Totenmatrikel des Jahres 1796, von der Hand des Pfarrers Brickner in lateinischer Sprache eingetragen, den folgenden ehrenvollen Nachruf:
„Am 13. Tage des Monats Mai nahm Abschied von dieser Welt und ward am 15. gerade am Pfingstfeste, beerdigt; der ehrsame Mann: Laurentius Sievert, ein würdiges Mitglied dieser Altschaft, dreimal Hann, vielmals sowohl jüngerer als älterer Kirchenvater, des Teilamtes jüngerer Beisitzer, 25 mal ward er von unserer Gemeinde zur Verteidigung des Streites entsendet in Sachen des mit den Salzburgern strittigen Gebietes Burgerfeld vor die hohe königliche Tafel (in Neumarkt); zuletzt wegen der nämlichen Streitsache im Jahre 1792 den 26. Juli nach Wien an den allerhöchsten Hof geschickt, hatte er bald nach seiner Ankunft die Gnade, vor dem erhabenen Throne Seiner geheiligten Majestät das Ungemach der Gemeinde mündlich darzulegen. Nach Beendigung dieser beschwerlichen Reise kehrte er wieder zurück in die Arme seiner Hausgenossen. Etwa seit Jahresfrist an Obstruktion und Leberverhärtung leidend, endete er sein verdienstvolles Leben im seligen Hinscheiden im Alter von 64 Jahren.“
Einen solch ehrenden Nachruf hat in der Stolzenburger Matrikel keiner seiner Einwohner erhalten. Und schon durch diesen Umstand verdient es Laurentius Sievert, dass sein Lebensbild näher beleuchtet werde.
Aus Schatzgräber. Bauerngestalten und anderes aus Siebenbürgen.
Von Johann Plattner erschienen 1928 Verlag Kraft & Drotleff A. G. Hermannstadt
Laurentius Sievert. Väterart
Laurentius Sievert wuchs in den 30 er bis 50 er Jahren heran. Bei seiner Geburt gab es bloß 64 bewohnte Höfe, daneben etliche 30 romänische und 9 Zigeunerhütten. Bald wanderten die österreichischen Transmigranten ein. Vier neue Gassen bildeten sie; die Niedergasse, kurze Zeile, das Tranchement, die Neugasse (Hundsbach). Dann strömten nach 1765, dem Jahre, in dem sie durch kaiserlichen Befehl das Recht erhielten, auf Sachsenboden Eigengrund zu erwerben, die Romänen ein. Meist aus der „Marginea“: Răsinar, Sibiel, Kakova und von Komitatsdörfern. In solcher Anzahl, dass im Jahre 1800 bereits um 30 Steuerträger mehr sind an Romänen, Bäiäschen Zigeunern oder „Neubauern“ als Sachsen.
Laurentius Sievert erlebte auch den Verkauf von Ladmesch und den seit 1746 entbrannten Hattertprozeß mit Salzburg um das Burgerfeld in seiner heißesten Phase. Als von Haus aus vornehmer Mensch, als Eidam (Schwiegersohn) des reichen Johannes König, genannt Spak, wahrscheinlich auch als früherer Zögling der Schulen von Hermannstadt oder Enyed, besonderes als geist- und willensstarker Mann übernahm er bald die Rolle eines Führers der Gemeinde, widmete einen großen Teil seiner Lebensarbeit dieser und führte zugleich seine eigene Wirtschaft mit solcher Tüchtigkeit, daß er bald der größte Grundbesitzer und Geldausleiher unter den vielen der Gemeinde war. Vielleicht deshalb, weil er nur 6 Prozent Interessen (Zinsen) berechnete.
In fast allen Gemeinden um Stolzenburg hatte er Geld ausstehend, selbst unter den Herren und Handwerkern von Hermannstadt. Von den Schriftkundigen lässt er sich Schuldscheine oder „Obligationen“ geben, die Schriftkundigen trägt er in das sauber geführte „Hausbuch“ ein. Von romänischen Gemeinden sind besonders zahlreich vertreten: „Răsinar, Alamor, Ladmesch; von den sächsischen Reußen, Haschag, „Gezivel“-Kleinludosch. Den Zigeunern leiht er, weil sie nichts Liegendes besitzen, nur auf Pfänder von Silber; silberne, inwendig, auch in- und auswendig vergoldete Kelche, Kannen, Becher, Knöpfe, Ketten, Löffel, Taler an Schnüren, Gürtel mit Silberspangen, Spangengürtel, Milchkannen von Silber, alles nach seinem Gewichtin Pfund, Lot, Quentchen genau verzeichnet und geschätzt.
Im ganzen sind laut Teilungsprotokoll versetzt; an Silber: 2 Kannen, 14 Becher, 2 Kelche, 2 Häftel (von Sachsen), Silberschmuck der zur sächsichen Tracht gehört, 1 Halsgehäng, 1 Paar Schleiernadeln, 2 „Ringel“, 32,5 Paar Knöpfe, 2 Löffel, 5 Teller; an Zinn: 3 Kannen, 2 Schüsseln, 13 Teller. Die Versetzer sind 23 Zigeuner und 2 Sachsen; eine Stolzenburgerin und ein Reußener.
Wo findet man heute bei den Zigeunern so vielen und so echten Schmuck! Dafür besitzen sie Haus und Hof, Grund und Vieh und den goldenen Boden ihres Handwerks; der Schmiederei und Schusterei, die angestammte Verschlagenheit und den steten Frohsinn.
Aus Schatzgräber. Bauerngestalten und anderes aus Siebenbürgen. Von Johann Plattner erschienen 1928 Verlag Kraft & Drotleff A. G. Hermannstadt
Laurentius Sievert und seine Zeit.
Der Name Sievert kommt in den ersten vorhandenen Namensverzeichnissen der Gemeinde nicht vor; es sei denn, das er gleichbedeutend ist mit dem, ebenfalls später auftretenden Namen Seywert = Seivert. Die Sievert sind also später, im 15. Jahrhundert, eingewandert. Vielleicht aus dem benachbarten Salzburg, unter dessen Amtsgeschworenen im Jahre 1507, (mit Ausnahme eines einzigen, Andreas Laslo, sämtlich Sachsen: Simon Roth, Balentinus Tynis = Teinis, Paul Keuter, Paul Kolb) auch ein Paul Sybart, auch Sybhart und Sybert geschrieben vorkommt.
Doch sei dem, wie es sei, die Sievert sind seit dem Ende des 15. Jahrhunderts in Stolzenburg und erscheinen bald unter den ersten der damals wirklich starken Hauswirte. In der Urkunde von 1490 ist ein Petrus Sibhart Hann. In der Steuertabelle vom Jahre 1720 steht ein Märten Siebert unter 109 besteuerten an neunter Stelle. In der Steuertabelle vom 1768 / 69 ist sein Sohn, unser Laurentius, bereits der drittbeste Wirt und zahlt an jährlicher Steuer 37 Rheinische Floren, 35 kr., Michael Werner auf der heutigen Hausnummer 26, ist mit 39,23 Rhfl. Und der Reichste, Simon Welther , heute Hausnummer 30, mit 43,09 Rhfl. besteuert.
Bei seinem Tode, im Jahre 1796, ist Laurentius Sievert der beiweitem wohlhabendste Mann der Gemeinde; zwei der schönsten Höfe, Nr. 137 und 127,der erste mit 350, der zweite mit 310 fl. Bewertet, sind sein; außerdem 75 Stück Ackerländer, 86 Wiesen, 38 verpfändete Grundstücke.
Er ist zugleich der größte Kapitalist und Geldleiher; auf Schuldscheine oder Obligationen 9819 Ufl. 86 kr. ; auf Pfänder (Argentarien)4557 Ufl. 57 kr.; auf verpfändete Grundstücke 632 Ufl. 95 kr., zusammen 15010 Ufl. 48 kr.
Das Gesamtvermögen beläuft sich auf 19 063 Ufl. 48 kr. Also die zwei Häuser, über hundert Joch Grund, der große Viehstand, viel Wein, viele Frucht usw. sind bloß mit Ufl. 4053,10 bewertet. Freilich; ein paar große Ochsen kosten 40 Ufl., ein großes Schwein 2 fl., ein Joch Acker 8 fl., ein Kübel Weizen 72 kr., das teuerste Pferd 40fl., ein gewöhliches 20, ein einjähriges Schwein 1 fl., ein Fass alter Wein zu 45 Eimer 37 fl. 75 kr.
In der Zeit des Laurentius Sievert, etwa von 1730 an, hat die Wirtschaftsweise der Stolzenburger Sachsen eine bedeutende Änderung erfahren. Im Jahre 1728 besitzt der Reichste bloß 28 Joch Grund ; 1796 unser Sievert über 100 Joch . Im Jahre 1728 haben die etwa 109 Landwirte von dem über 11 000 Joch großen Hattert bloß 997 unter Pflug und Sense. 6000 Joch waren Wald, der Rest über 4500 Joch, Weideland, meist mit Dornhecken bestanden. Hundert Jahre nachher hat der Waldteil etwa die heutige Ausdehnung; 3000 Joch, der kultivierte Teil etwa 6000 Joch. Wie kam das ? Durch die Not und infolge der Sucht, recht viel Grundbesitz zu eigen zu haben.
Die Not war die furchtbare Zerstörung der Gemeinde durch die Rakoczischen Kurutzen in den Jahren 1704 bis 1707. Nur zwei Häuser blieben stehen. Da hieß es – aufbauen! Wald genug. Im Norden, Osten und Südosten bis an die Gemeinde reichend; bis zum Kopen, Kredjer, Schatzbäsch.
Die Altschaft (Amt) gab die nahen Walpartien frei. Und was das heißt wenn der Bauer frei holzen darf, weiß man. Stolzenburg gibt dazu einen redenden Beleg. In einigen Jahren verschwand aller Wald in der Nähe des Ortes; der Hillebäsch vom Kopen an, die „Rotbäume“, die „Loch-Hillen“, die „Linden“, im „Eifelfeld“ von dem Kredjer bis zum „Rennsberg“, und vom „Blesch-Evend“ bis zum „Unkennest“, der „Schatzbäsch“ bis zum „Krummau-Wald“, die „Stämpen“. Was soll nun mit den abgeholzten Waldteilen geschehen ? – war die Frage. Die Altschaft beschloss: Jeder Einwohner kann ausroden und in Acker verwandeln, so viel er vermag. Nur die Teile an der Gemeinde bis einschließlich Hillebäsch“ und Linden bleiben Hutweide. Es ist dann sein Eigentum.
Solches braucht man den Bauern nicht zweimal zu sagen.
Und wer vermochte am meisten zu roden: Die starken Wirte; die Sievert, König, Werner, Weidenfelder, Bock, Theil, Hallmen, Rengyes, Schieb, Plattner. Besonders die Sievert. Seitdem gehörte das „Hirkeloch“, die oberen „Schelzen“, viel vom Burgerfeld, die schönen Wiesen am „Rennsbrich“, die „Sievert-Raine“ und fast die Hälfte vom Grund „Hinter dem Reg“ dieser Familie.
Auch die Romänen, die von Jahr zu Jahr als Hirten in Dienst genommen wurden, fingen an, sich gewesenen Wald und Weidegrund auszuroden, besonderes auf dem ihrer Siedlung zunächst gelegenen Teil, der bis heute „Blesch-Evend“ heißt. Sie zählten um diese Zeit laut den Kontributionstabellen 40 Wirte.
Aber die Sachsen verboten ihnen das auf Grund ihres Eigenlandrechts 1763.
Die Romänen klagen bis an den kaiserlichen Hof und dieser verfügt, ungeachtet der sächsischen Rechte, es sollte den Romänern gestattet sein, auch eigenen Grund zu erwerben.
Sogleich schnellt die Zahl der romänischen Steuerzahler empor : 1765 / 41: 1766 / 59 :1767 / 62 . Und so rasch wuchs nun die Zahl der Romäner und der Zigeuner, dass im Jahre 1800 diese zusammen um 30 Steuerträger mehr zählten, als die Sachsen. Sachsen 266, freie Romänen, Inquilini (Vorortromänen) und Neubauern (Zigeuner und Bäiäschen) 296 Steuerzahler. Denn die Sachsen brauchten bei dem vielen Grundbesitz Knechte, Gartenhüter, Arbeiter.
Im Jahre 1728, wo der wohlhabenste nur 28 Joch besaß, die übrigen etwa 16, da bearbeitete die sächsische Familie selbst ihren Grund, war auf eine sehr geringe Zahl von Arbeitern angewiesen. Erfreute sich dabei eines soliden Wohlstandes, weil bei den großen Weideflächen eine schöne Viehzucht gedieh. Der Sachse ackerte mit sechs und eggte mit vier Ochsen. (Steuertabelle 1720)
Und die Weingärten konnten auch gehörig bearbeitet werden. Die 80 bis 109 sächsischen Wirte bringen um das Jahr 1728 jährlich 10 000 bis 11 000 Eimer an Weinsechsung ein.
Wie viel Arbeiter, Gartenhüter, Knechte erforderte aber nachher ein Besitz von über 100 Joch des Laurentius Sivert und der von 361 Joch seines Sohnes Johann um 1800! Das Bestreben, möglichst viel Grund zu besitzen, hat dieser Gemeinde, vom völkischen und wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, große Nachteile gebracht, sie ist in ihrem Fett erstickt und an die Stelle eines ausgebreiteten Wohlstandes trat allmählich die Armut. Was die Heimsuchungen der früheren Zeitlagen: Seuchen, Türken, Tataren, und Kriege der Fürstenzeit nicht vermocht, das zähe Sachsengeflecht an der Wurzel, am inneren Wesen zu schwächen, das hatte der Bodenreichtum in ein paar Jahrzehnten zuwege gebracht; Hang an Wohlleben, Genusssucht, Unlust an zielbewusster Arbeit, Grundverkauf und dadurch vermehrter Zuzug von Fremden. Wo im Jahre 1765 570 Sachsen und etwa 182 Romänen und 52 Zigeuner lebten, und gut lebten, kämpfen heute ( um 1920), fernab von Eisenbahn und Stadt, 1638 Sachsen und 1831 Rumänen, Ungarn, Bäiäschen und Zigeuner um ein in Verhältnis zu damals notdürftiges Dasein. Ehre den Ausnahmen!!
Aus Schatzgräber. Bauerngestalten und anderes aus Siebenbürgen.
Von Johann Plattner erschienen 1928 Verlag Kraft & Drotleff A. G. Hermannstadt
Laurentius Sievert. Ladmesch
Und dass dort, wo die Vorfahren in den Zeiten, da sie von 11 427 Joch ihres Hatterts nur 997 Joch ackerten und mähten, den Rest zur Hälfte als Wald, zu Hälfte als Viehweide benutzten, und bei einer intensiven Bewirtschaftung des Bodens, emsiger Pflege der vielen Weingärten und entwickelter Viehzucht zu solchem Wohlstand gelangten, dass sie kurz vor 1500 einen Teil von Ladmnesch als uraltes Prädium („ös örökös praedium“) – wahrscheinlich seit Betreibung ihrer Gräfen – in Besitz haben, 1504 von dem ungarischen Adligen Gaspar von Bell die Hälfte von Ladmesch um 800 Goldgulden, von Sigismunds von Bell und Petrus und Johannes von Wassid um den ansehnlichen Preis von je 800 flor.“ reinen Goldes, von rechtem und gesetzmäßigem Gewicht“ das Achtel kaufen. Der ganze Hattert von Ladmesch mißt 1697 Joch, ein Achtel demnach 212. Ein ganz ansehnlicher Preis. Aber die Edlinge von Bell und Wassid brauchen infolge „widriger Umstände“ Geld und der fleißige sächsische Bauer hat es. Auch die Verwandten der Beller und Wassider Adligen, die Söhne des verstorbenen Franziskus von Salzburg, wollen ihr Achtel in Ladmesch den Stolzenburgern verkaufen.
Aber ihr Vormund, der Kammergraf und Königsrichter Barlabasy, willigt nicht ein, siedelt auf diesem Gebiet Romänen an und hält diese an, auf dem Stolzenburger Teil mit seinen Herden zu prävarizieren. Was zu vielen Prozessen und Schlägereien führt. Doch nach dem Tod des argen Sachsenfressers verkauft Nikolaus, der Sohn des Franziskus von Salzburg, 1515 auch das letzte Achtel von Ladmesch an die Sachsen von Stolzenburg um 300 Goldgulden, über alle diese Käufe finden sich die Urkunden im sächsischen Nationalarchiv in Hermannstadt.
Auch über die nachträglichen Prozesse um den über 200 Jahre dauernden Besitz dieses ehemaligen Prädiums. Denn sie kauften es nicht nur, sie verteidigten es auch vor den Gerichten, den Königen und den Fürsten, und in häufigen Schlägereien mit den „Birischen“ derer von Bell, Wassid und Kaltwasser und den Ladmescher Romänen.
König Zapolyay nimmt in der Zeit seiner Kämpfe mit Kaiser Ferdinand I. den auf seiten dieses kämpfenden Stolzenburgern Ladmesch und schenkt es seinem Parteigänger Wolfgang Bethlen als angeblich Pempflinger´sches Gut. Unter die von J. Zapolyay konfiszirten Güter Markus Pempflingers* hatten die Bethlen in einer gefälschten Urkunde auch Ladmesch gezählt. Siehe Fabritius, Pempflinger Mark., Ert. M. Tud. Akad. IV. 1875. Ferdinand spricht es seinerseits den Stolzenburgern zu und seitdem blieb es bis etwa 1760 in ihrem, freilich, argbestrittenen Besitz.
1703 werden auf Ladmescher Hattert 7 Stolzenburger getötet, wie der Hann Schelles und ein Sievert dem Hermannstädter Magistrat anzeigen.
1706 klagen die Stolzenburger dem Magistrat, die gegen ihren Willen auf ihrem Ladmescher Besitz wohnenden Romänen bildeten sich dort eine kleine Gemeinde, fügten ihnen viel Schaden zu, kämen selbst in die Weingärten stehlen; sie könnten sie nicht dort dulden, sollten gehen, woher sie gekommen, und der Magistrat möge die Erlaubnis hierzu geben.
Die guten Herren vom Magistrat verhandeln die Sache zweimal in Gegenwart der Stolzenburger und Ladmescher und geben jedes Mal den Rat, die Stolzenburger sollten doch versuchen, die Leute dort zu lassen; sie lieferten ihnen ja Hirten und zahlten der Gemeinde Steuern. So sind sie dort geblieben, zahlten den Zehnten für den von ihnen benützten Teil des Bodens, dienten bei der Jungviehherde der Stolzenburger, die von Georgi bis Martini auf dem Ladmescher Hattert verblieb, und blieben auch immer die alten kecken Prävarikanten.
Man hat 6 Jahre hindurch dem Magistrat über Ladmesch keine Rechnung vorgelegt. Strenger Auftrag seitens dieses an das verpflichtete Altschaftsamt. Die Rechnung wird eingesendet. Dieser nach, betragen die Einkünfte; in 1725: 88fl. 10 kr. ; 1726: 32 fl. 30kr.; 1727:208 fl.73 kr. ; 1728: 178 fl. 85 kr.; 1729: 137 fl. 41 kr.; 1730:158 fl. 22 kr.
Die Altschaft trinkt beim Verzehnden in Ladmesch 1726 ein Faß Wein zu 14 fl. Der Hann verrechnet „für 4 mal hinausgehen und draußen gewesen habe auf Brot, Wein, Gewürz, und andere Culinaria erogiert (= ausgegeben) : 18 fl.“, heute (1928) 130600 Lei
Aus Schatzgräber. Bauerngestalten und anderes aus Siebenbürgen. Von Johann Plattner erschienen 1928 Verlag Kraft & Drotleff A. G. Hermannstadt.
Laurentius Sievert. Reisen.
Zeigt uns Laurentius Sievert sorgfältige Buchführung über die vielen Schuldner den gewissenhaften Verwalter des Familienvermögens, so ersehen wir aus dem uns zur Verfügung stehenden schriftlichen Aufzeichnungen über sein Leben, wie insbesondere aus dem Nachrufe Pfarrer Bruckners in erhebender Art, welch getreuer Verwalter des teuren geistigen Pfundes er gewesen, das er von seinen Vätern ererbt; echte Frömmigkeit, Fleiß, Sparsamkeit, reger Gemeinsinn. So war einmal der rechte Sachs. Dreimal Hann, mehrmals Kirchenvater, Teilamtsbesitzer, 25 mal Deputierter seiner Gemeinde nach Neumarkt zur königlichen Tafel, das letzte mal selbst nach Wien an den Kaiserthron. Welches Sachsenbild! Selbstredend immer mit eigenem Gefährt, mit eigenen Pferden. Es findet sich auch nirgend im Kirchenarchiv eine Kostenverrechnung von ihm vor.
Wie oft wird er zur Stadt gefahren sein, für Kirche und Gemeinde, zum Prokurator oder Advokat (daher das sächsische „Procauter“), gewöhnlich ein Ungar, wie der ungarische Prokurator der Stolzenburger Kun. Der studierte Ungar sprach vollkommen ungarisch und die damalige Amtssprache, das Lateinische.
Nun, den Weg nach Neumarkt konnte er unschwer machen in zwei Tagen. Die Gastfreundschaft war damals, zumal einem solchen Manne gegenüber, überall vorhanden und mit der Hauptstation Bogeschdorf bestand immer das schöne Verhältnis eines freundschaftlichen Hospitiums.
Aber – nach Wien! Fünfzehn Tage bis hin, fünfzehn zurück! Im heißesten Monat, im Juli. Besonders heiß auf der längsten Strecke, in der ungarischen Pußta.
Und die Wegrichtung! Damals gab es ja das nicht, dessen wir uns heute unter dem vielsagenden Namen Landstraße erfreuen. Man fuhr, zumal in Ungarn, wo und wie man konnte, machte ebenso Rast und weidete unter dem immer gastfreundlichen Himmel und schoß sich, während das Gespann ächzte, einiges von dem so zahlreichen Wildstand: Hasen, Wildgänse, besonderes Wildenten. Waffen hatte man dort immer mit, musste sie mit haben. Denn die Csarda war, wie unsere siebenbürgischen Feldwirtshäuser, immer gefährlich, der Tschikosch und Szegeny legeny da herun stets zu Hause. Es galt immer, auf sorgsamer Hut zu sein, Tag und Nacht. Es drohte stete Gefahr; den Pferden, dem Wagen, dem Gepäck, dem eigenen Leben.
Zwar die Wegrichtung – die kannte damals jedes Sachsendorf ziemlich genau, über Arad bis Szegedin fuhren ihre Fuhrleute nicht selten; mit Kaufleuten, Handwerkern, als Vorspan. Nach Klausenburg fuhren die Stolzenburger zu seiner Zeit fast mit sämtlichen Wagen. Mit dem Fiskalzehnten, d. h. dem vierten Teil des Zehntens, der „der dem König“ gehörte, von diesem aber, wer weiß wofür, den Jesuiten nach Kolozsmonoftor überwiesen war. Selbst bis „Pesth“ kannten sich einige aus. Denn bis dahin waren sie mit Kaufleuten, Deputationen oder Universitätsstudenten gelangt. Und ein rechter Fuhrmann hat seine Lust am Fahren. Auch Sievert, dem auch sein Schwiegersohn Michael Weidenfelder, jetzt Haus-Nr. 225, beigegeben war nahm sich gewiß den besten und erfahrensten Fuhrmann zum Kutscher. Wenn nicht sogar den eigenen Sohn, den energischen Johann.
Die Strecke von Pesth bis Wien wird Pfarrer Bruckner genau beschrieben haben.
In Wien wußte man den Einkehrhof der Siebenbürger und die Adresse des sächsischen Agenten bei der Siebenbürgischen Hofkanzlei.
Sievert hat die Hin- und Herreise glücklich überstanden. Der Pfarrer trägt ein, wohl auf Grund von Sieverts Schilderungen: „Diese beschwerliche“ Reise.
Und welches Glück hatte er in Wien gehabt! Bald nach der Ankunft zur Audienz zugelassen! Vor dem Kaiser! Was hieß dies damals! Zumal für einen Bauern aus Siebenbürgen! Un der Kaiser Leopold II. war sehr gnädig; er gewährte außer der offiziellen noch eine zweite, gleichsam private Audienz den interessanten zwei Männern mit dem langen Haupthaar der germanischen Frieden und den langen, weißen, rot- und blau-geblümten „alten Ritter-Mänteln“, wie sie Wilhelm II. nannte. Im Beisein mehrerer höchsten Würdenträger. Und der Kaiser ließ sich berichten von einfachen, aber bewanderten, prudenten und circumspekten sächsischen Bauern über allgemein siebenbürgische Verhältnisse und den Hattertprozeß. Wie wertvoll wäre es, wenn Sieverts Wienreise und die Erlebnisse auf derselben nach seinen Schilderungen beschrieben worden wäre! Man sieht; der Sinn für solche ideale Sache fehlte. Schließlich – werden sie in ihrem Kraftbewustsein, dem leider zu entwickelten, gedacht haben: „Der Herr Kaiser – der ist weit und Könige sind hier wir; die vier reichen Könige und wir, wir mit ihnen!“
Sievert kam glücklich zu den Seinen zurück. Aber drei Jahre darauf erkrankte er tödlich. Er, der bloß 64 jährige, und der gewiß, wie alle Sievertleute, kräftig, wohlgebaut, in allem nüchtern und gesund war.
Der Gedanke drängt sich auf, daß die vielen Reisen, besonders die „beschwerliche“ Wienreise, den Keim zu der unheilbaren Krankheit gelegt: Magen-Obstruktion – und Leberverhärtung. Im Dienst für seine Kirche und Gemeinde holte er sich den Keim zu einem frühzeitigen Tode. Und hier, in seiner Krankheit, zeigt er sich in seiner ganzen vordenkenden Sorgfalt, in seinem äußerst genau abgefaßten letzten Willen.
Aus Schatzgräber. Bauerngestalten und anderes aus Siebenbürgen. Von Johann Plattner erschienen 1928 Verlag Kraft & Drotleff A. G. Hermannstadt
Laurentius Sievert. Wandlungen
Um diese Zeit hat die große Umwandlung im Stolzenburger sächsischen Gemeindeleben eingesetzt. Mit einem starken Ruck nach rückwärts, um nicht zu sagen nach unten. Der Kuruzensturm von 1704 bis 1707, die kleine Pest, von 1708, die große Pest von 1719,. Zuwanderung von etwa 70 Transmigrantenfamilien, Sesshaftwerden von stets anwachsenden Romänenfamilien und Zigeunern, Rodung von 3000 Joch Wald und über 1000 Joch Hutweide zugunsten von Privatbesitzern.
Die große Hutweide vom Wartel, Burgerfeld, In-den-Hecken, d. h. die Hochfläche vom „Essigloch“ bis zum Weißfluß im „Trojan“ und „Reuen Weyr“ , Lockereg bis zum Trojan. Nachlässige Bewirtschaftung des großen Besitzes, Grundverkäufe an die neuen Bürger, Aufgeben der über 800 Joch im Scheuerner „Woasem“ gegen ein sehr geringes Lösegeld, verkauf von Ladmesch um 60 Goldgulden. Nach den biologischen Gesetz: Hypertrophie (100 bis 361 Joch Besitz) erzeugt Atrophie (Verweichlichung, Schlaffheit, Grundverkauf, Trunk).
Den zweiten Ruck nach abwärts gab die große französische Revolution mit ihren langen Kriegen 1780 bis 1815, die Gelddevaluation von 1811: ein Gulden gleich 20 fr. Die vielen Stolzenburger, die gegen Frankreich gekämpft, 8 bis 10 Jahre, hatten den Wert der Arbeit zu schätzen verlernt. Im Wirtshaus saßen sie lieber. Wo bis dahin es für einen Sachsen eine Schande war zu sitzen.
Ein Halbjoch nach dem andern ward vertrunken, verkauft um einen Schleuderpreis.
Und im inneren Gemeindeleben ? Bis zur französischen Revolution, in vielen Familien und lange nachher, herrschte eine strenge evangelisch-christliche Lebensführung:
Am Freitag ward ganz, am Mittwoch halb gefastet. Sonnabend hörte zu Mittag alle Feldarbeit auf und man rüstete daheim zum Sonntag. Und der Sonntag ward ein wahrer „Tag des Herrn“. Vor jeder Mahlzeit ward mindestens im Stillen gebetet, am Familientisch betete der Hausvater. Besonders an Sonn- und Feiertagen. Nachmittags las man in der Bibel, im „Psalm(Gesang-)buch“, Arndts Erbauungsschriften, in der Postille von Spangenberg u. a.
Der Vespergottesdienst mit den beliebten Dicta war so voll besucht wie der Haupgottesdienst.
All das erlitt in und nach den französischen Kriegen eine tiefe Erschütterung, zumal die Einwohnerschaft großenteils eine neue und zum Teil rassenfremde war. Das Beten zog sich in das Kämmerlein zurück, das Schimpfen und allerlei gottlästernde Fluchen trat vor. Bisher mehr ungarisch, wie man es von den Szekler Dreschern gehört, letzt mit Vorliebe romänisch.
Gegenseitig und auch einander selbst gegenüber entweihte man sich in Schimpf und Fluch das Teuerste und das Heiligste. Von der Mutter bis zur Mutter Jesu, Jesu und Gott. „Dumnezeu tău“, „Hristosul tău“, « Precesta ta » einerseits „ Herr-gotu tău „ , „Hristosu tău“, „Vanghelia ta“ andererseits. Deutlich und französisch „Donnerwetter, Himmel – Hergott, Par bleu!“
Wenn aber das Heilige von Vielen so entheiligt wurde, wie sollte da das Eigentum heilig bleiben! Abackern, Abmähen rissen ein: „ Ein Narr, wer den Knechtlohn nicht mit Abackern macht!“ pflegte einer der Reichsten zu sagen. Die Primores (Ersten) holzten und weideten im Verbotenen. Da war des nur ein kleiner Schritt bis zum Viehdiebstahl, auf dem früher der Galgen stand. Er blühte auch hald.
Hier wie im ganzen Land, vergebens stellte man die größten Diebe als Hirten mit „Felelat“–Haftung an. Schon die Art ihrer Diensteinführung war eine bedenkliche. Ein üppiges Mahl im
Hannenhaus, die Hirten selbst stellten es. Ihre Frauen brachten die Mehlspeisen. „Bis zwei Eier schlug dabei eine Hirtin ein“, erzählt man noch heute, Wein dass er floß. Gesoffen bis die meisten umfielen. Und es blieben immer mehr Viehdiebe als Hirten waren. Kettenhandel. Bis Klausenburg, Reps, Rimnic.
Wer getraute sich, eine Anzeige zu machen! „Sorg dir auf deine Scheune eh“ Es gab noch keine Assekuranz, noch keine „Feuerwelte“, wie der Zigeuner sagt.
Die Abschweifung in die Geschichte und den Wandel in Leben und Wirtschaftsweise, Denk- und Gefühlswelt früherer Zeiten ward gemacht, weil dieses Gemeindebild und der Wandel in ihm wohl nicht nur auf diese Gemeinde zutrifft; dann aber auch, weil es einiges Kulturhistorisches von allgemeinem siebenbürgischen Interesse bieten möchte, zumeist aber, um ein besseres Verständnis unserer Bauerngestalt von altsächsischem Schrot und Korn zu ermöglichen.
Aus Schatzgräber. Bauerngestalten und anderes aus Siebenbürgen. Von Johann Plattner erschienen 1928 Verlag Kraft & Drotleff A. G. Hermannstadt.
Laurentius Sievert Testament
“fl.= Florin französische Bezeichnung des Guldens
1 Fl. ungefähr 100 Euro.”
Laurentius Sievert „ordnet“ darin sein „Haus“ in genauer und gewissenhafter Weise. Und er hat viel zu ordnen, damit nach seinem Tode kein Unfriede in der Familie entstehe.
Viel zu ordnen bei dem Vielen, das er hinterläßt: Außer dem großen Grundbesitz, die Aktivschulden auf Obligationen, im Hausbuch, die verpfändeten Grundstücke, das Verzeichnis der als Pfänder vorliegenden Argentarien, das Verzeichnis der zum Teil seit Jahren ausstehenden Darlehensinteressen. Ein Einblick in die Hinterlassenschaft in Haus und Hof gewährt ein recht ansprechendes Bild von seiner wirtschaftlichen Tüchtigkeit; die eigenen silbernen Schmucksachen, das „Geschmeide“, hat er schon früher an die vier Kinder aufgeteilt. Es war schlechterdings in den Truhen nicht mehr Platz bei dem großen Vorrat an versetzten Schmucksachen.
Der hübsche Besitz an Zinngeräten ist noch im Hause: 10 Teller Rosenzinn, Pfund 14,05, 12 Teller“ordinair Zinn“, Pfund 10,5;
„1 kleine Schüssel, worin ein Bauer mit der Eichel gezeichnet,
„1 Teller, worin ein Wallach gezeichnet,
„1 Teller, worin zwei Eheleut gezeichnet,
„1 Teller, worin ein paar Lämmer gezeichnet,
„1 Teller, worin eine Blum gezeichnet,
„6 Stück Schüsseln ordinair,
„1 Stück Suppenschüssel,
„6 Stück diverse ordinair Schüsseln, Pfund 12,
„3 Kannen“
Verschiedene Kupfer, eine Menge Eisengeräte. Hierunter nebst einer Flinte a 2 fl., 2 Pistolen a 2 fl., 40 Pfenning.
„Ein alter Säbel“ – !
Ob die sächsischen Bauern früherer Zeiten überhaupt das Recht des Säbeltragens hatten, oder nur die eines Burgortes, ist mir nicht bekannt.
Die Stolzenburger scheinen dieses Recht besessen zu haben. Denn in der Urkunde vom Jahre 1570 (Archiv Nr. 968/1570) entreißen die Salzburger zwei Stolzenburgern die Säbel, dem Martinus Weynelt und Thomas Reußner, dem ersten auf einer Fahrt zwischen Stolzenburg und “Cheperche“, sächsisch: Tschappertsch, rumänisch: Toparcea, auf der „Regia- Königlichen“, nämlich – Straße; dem anderen im Streite um die Stolzenburger Stuttherde, die der Kammergraf Somsgyi durch seine Hirten vom strittigen Tyvishegy- In – den – Hecken ganz nach Salzburg eintrieb.
Einem Stolzenburger nehmen sie dabei auch den Wollmantel „cento“. Sollte von diesem lateinischen Cento die sächsische Benennung des in einer gewissen Form geschnittenen langen, Lodenrockes „Zonder“ entstanden sein? Die andere Benennung mit „Bobo“ bezeichnet den nicht zugeschnittenen Umhängemantel aus Loden. Genug, Laurentius Sievert hat einen Säbel besessen, wenn auch einen alten, von seinen Vätern stammend …
„7 ,federnBett a fl. 4, 12 federn Polster a 1 fl.,
“80 wollene Fruchtsäcke,
“83 Ellen halbwollene schwarzgestreifte Sackleinwand, die Elle a 20 Pfennig.
„246 (werdene) Leinwand a 10 Pfennig.
„1 Tyroler Teppich.
„1 kleiner dto. _
„178 Kübel Korn (Weizen), zuf. 512 Ufl,64 Pfennig (im Juli),
„57 Kübel Kukurutz, zuf 114 Ufl.
„7 Fässer alter, 17 Fässer neuer Wein,
„120 Pfund Speck (das Pfund 18 Pfennig).
„1 Zentner altes Schmeer a 18 Pfennig.
„24 Maß Brantwein –
„19 Fruchtkästen.
„ 3 Fruchtfässer (Betschen).
„ 10 Pferde.
„ 8 Ochsen.
„ An barem Geld sind vorhanden 875 Ufl.“
Das große und umfangreiche Teilungsprotokoll schließt mit der Abschrift der zwei Monate vor seinem Tode angefertigten „ letzten Willens – Meynung des Laurentius Sievert“. Sie lautet:
„In Namen Jesu“
„Da ich Endesunterfertigter bey meinem mißlichen Gesundheits – Umständen und bey dermaligen immer zunehmender Schwachheit mich verpflichtet halte, zur Verhütung künftiger sich ergebender Streitigkeiten öffentlich und in Gegenwart unterfertigter Dorf – Insassen, als Specialitter hierzu berufenen Zeugen, an Tag zu legen, und zur künftigen Befolgung unabänderlich verfüge; so gestehe für Gott und der Welt, daß:
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 (enthalten besondere Legierungen an die Wittwe, die Kinder: Agnetha vermählte Weidenfelder; Haus im Angerlein, heute Nr. 137 a 300 fl.
Johannes (bleibt auf dem Hof 137)
Anna vermählte Prediger Theil (sie hat bei ihrer Heirat “zur Auskleidung“ 50 fl. erhalten, und es werden ihr noch 30 fl. testiert).
Die 2 Pupillen nach der verstorbenen Tochter Catharina geb. König (Haus- Nr. 226), Laurentius und Thomas.
Alle erhalten ein besonderes Legat. Johann den Bienengarten samt Haus und Wiese (8 Joch)in den „Schelzen“. Heute noch im Besitz der Nachkommen.
Eines der beiden Enkelkinder ist Kaporal, später Fähnrich beim Löbl. Mitrovskischen Infanterie–Regiment. Scheint als rechter Landjunker aufgetreten zu sein dieser echte König Sprößling, und den guten Großvater recht häufig geldlich in Anspruch genommen zu haben. Durch Briefe und mit Zetteln – sagt dieser im Testament – und auch bloß mündlich, wie es im Hausbuch aufgeschrieben stehe, hat er in der kurzen Militärzeit nicht weniger als das hübsche Sümmchen von 816 Ufl. 14 Pfennig dem Großvater entlockt. Des Großvaters Gerechtigkeitssinn setzt aber im Testament fest, daß „von Rechtswegen“ …. mit diesem vorempfangenem Geld mein Enkel Thomas König bei der Teilung zurückstehen möge.
Damit aber durch diese Verfügung kein diesem Enkelkinde „nachteiliges Präjudiz“ geschaffen werde, verfügt Punkt 2 f. des Testaments: „Halte ich für notwendig, hiemit anzuzeigen, daß ich meinem Enkel Thomas König das für ihn verwendete Kostgeld währen der Zeit, dass er in Hermannstadt studiert, nicht in seinem Vorempfang angerechnet habe, sondern ihm dieses schenke“.
Auch ein Beweis von Gerechtigkeitssinn. Denn nach dem sächsischen Statutarrecht wurden Söhnen, die am Gymnasium und Universität studierten, die Studienkosten nicht angerechnet. (Friedrich Teutsch , Geschichte der evang. Kirche)
Und noch ein schöner Wesenszug. Auch in seinem letzten Willen zeigt Laurentius Sievert, dass ein Sachse seiner Kirche, die ja immer war und immer ist der seelische und geistige Mittel– und Brennpunkt einer Sachsengemeinschaft, nie uneingedenk sein soll, wenn er es mit dieser Gemeinde und damit mit sich selbst wohlmeint.
So lesen wir denn am Schlusse des Testaments: „ ….Vermache ich freiwillig der Kirche 100 Gulden“.
Das ist für seine Zeit eine ansehnliche Zuwendung. Und doch ist der andere Wert, der in diesem kirchlichen Legat enthalten ist, viel, viel höher anzuschlagen, der Ewigkeitswert eines verständnisvollen Empfindens für die so bewährte eigene Volkskirche, mit der Sache steht oder fällt, mit der jeder Einzelne, nicht nur die Gemeinschaft, gedeiht oder verfällt. Das geschieht freilich aus Gnaden nur. Aus Gnaden des heiligen Geistes. Laurentius Sievert hat sich dieser höchsten Gnade sein Leben lang erfreut, erfreut noch am ende dieses reichen Lebens eines – Bauers.
Zeugnis, der ehrenvolle Nachruf seines Pfarrers, der reiche Segen Gottes in seinem Hause, sein peinlich genaues und gerechtes Testament, das „Im Namen Jesu“ beginnt mir dem Gedanken an die Stiftung des Heiligen Geistes auch in seiner Gemeinde mit einem bedeutenden Legat für sie schließt.
Am Pfingstfest, dem „lieblichen“ Hochfest der christlichen Kirche, dem Erinnerungstag der Ausgießung des Heiligen Geistes, war das Begräbnis. Im Hauptgottesdienst dieses Hochfestes wird gewiß auch 1796 wie zu anderer Zeit in mächtigen Akkorden erklungen sein der feierliche Sang:
Oh heiliger Geist, kehr bei uns ein
Und laß uns deine Wohnung sein,
du unser Seelen Sonne.
Werden sich viele bewußt gewesen sein, das dort oben in der Gemeinde einer aufgebahrt war, dessen Seele diese Worte stets voll und ganz empfand ?
Und werden sie am nachmittägigen Leichenbegängnisse auch im Innern erfasst haben die Wahrheit des Dichterwortes, das im Leichengesang einer sächsischen Gemeinde so weihevoll erklingt und – das dieses Toten Lebensrichtschnur war – die herrliche Liedsstelle :
Lebe, wie du, wenn du stirbst,
wünschen wirst, gelebt zu haben ?
Aus Schatzgräber. Bauerngestalten und anderes aus Siebenbürgen. Von Johann Plattner erschienen 1928 Verlag Kraft & Drotleff A. G. Hermannstadt