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Stolzenburger Mundart


Sprachliche Leckerbissen aus Stolzenburg

Es waren nicht die biblischen Vögel des Himmels, die mir schon wieder ein paar originelle Ausdrücke aus unserer Stolzenburger Mundart zugetragen haben. Es waren menschliche „Vögelchen“, die erneut einiges gesammelt hatten in ihren mitteilsamen Schnäbelchen: War es ein Fichǝnäouchen (Meise?), ein Patcharus oder Zaiku (Eichelhäher), ein Ciuvickchen (Käuzchen), ǝn Krîă,  ǝn Sprîă uch ǝn Zaisken (Krähe, Star und Zeisig)? Oder gar ein Zeongschläpper (Zaunkönig)?  Ab und zu kam auch eine Buha (Eule) vorbeigeflattert. Manchmal war es ein fleißiges Bisǝbauchen (Bienchen), ein Flutter (Schmetterling) oder ein Brummer (Hummel), die im frühen Frühjahr auf den leuchtendgelben Guodeloiskern (Huflattich) im Garten hinter der Scheune saßen.

Ich googelte kürzlich „Patcharus“ und erfuhr, dass es ursprünglich ein indisch/malaiisch/thailändischer Vorname ist. Bei uns in Siebenbürgen sitzt er nicht nur in Michelsberg in den Kirschbäumen. Innerhalb unserer Gemeinde variieren die Bezeichnungen: Einige kennen den Eichelhäher als Zaiku, andere als Patcharus und einigen sind beide Bezeichnungen geläufig.

Danke an alle, die über diese halbvergessenen Ausdrücke stolpern und uns alle daran teilhaben lassen. Auch mir fallen täglich Wörter und Wendungen ein, die wie zufällig aus den hintersten Schubladen des Gedächtnisses herausrieseln:

Äbrah (Mehlschwitze), äm Auren (Erntezeit), Bäjeltchen (Schulheft), Bäwendämmes: Zwischenmahlzeit am Nachmittag, bei der die Reste des Mittagessens verzehrt werden; Bîărten (der Borten), de Buort (gewebte Gold-/Brokatborte); Bunzker (Ferkel), äm Ëiren (auf dem Fußboden), Fraas (Schüttelfrost), Friseln (Masern), Fruonsen (Trachtenbänder) nicht zu verwechseln mit „Fransen“; Gåller: Kragen, rumän. guler, ungarisch gallér, englisch collar; Gebinn (Zimmerdecke), Gedaiß = Kleidungsstücke, etwas), gröberer Ausdruck für das aus der Mediascher Gegend stammende feinere Ugedeaßel; nă Gemirk (nach Augenmaß, nach Gefühl),
 det Gekaingzel = die Kinderschar, den Ausdruck benutzt man, wenn man leicht genervt, neudeutsch gestresst ist; Gesästerkaingd (Cousin: „der Kusin“, Cousine: „det Kusintchen“), Glätscheisen (Schlittschuhe), strimpich Hëinen (Hühnerrasse mit Federn an den Füßen); äm Krîăn (im Wochenbett), Kram (Sau), Mäouraisen: wörtl. Moor-Eisen, meist H-förmige Vorrichtung aus Eisen vor dem Hauseingang im Boden befestigt, an der man vor Betreten des Hauses den Morast der Straße von den Schuhen abstreifen konnte; Mätblaiwen (Konfirmation), ba dǝ Mäǝsern: bei den Soldaten, beim Wehrdienst; Litzel: Bindfaden, Paketschnur, von lat. licium, deutsch Litze: Band, Geflecht zum Verzieren, Besetzen von Kleidungsstücken; Loihr (Konfirmandenunterricht, Lehre), Oisken (Pickel, auf der Haut!), Poitasch (Kumpel?), Pujelar (Geldbörse), Quartoir (Unterkunft), Schlacha (Schlaganfall), Stanitzel, Tock (Tüte), Uomfrau (Heb-amme), Tschippcher (Küken), Tuistert (1. Umhängetasche, 2. Depp) sind nur eine relativ kleine Auswahl.

Ein Ausdruck, den ich so gut wie nie gehört habe, ist „Kräoudǝkuotsch“. Es handelt sich um den Kröten-/Froschlaich, der wie ein trüber Film im Frühjahr über Teichen und Weihern hängt. Von da ist es nicht weit zu „zäkuotschen“ = zudecken, dem „Gekotschzel“ (Bettdecke, -wäsche) und zu den „Kuotschen“ (Windeln).

Von mir vollständig vergessen war der Begriff „Blaufåder“. War es der Bleistift, der Federstiel oder der Tintenbleistift? Letzteren musste man erst befeuchten, meist anlecken(!), damit man damit dokumentenecht - wie mit Tinte - schreiben konnte. Das war zu einer Zeit, als es noch keine Kugelschreiber (Piks) gab und nicht jeder Geld für eine Feallfåder (Füllfeder) hatte. Zur Blaufåder gesellte sich gern auch das „Bäjeltchen“, womit weniger ein Büchlein sondern vielmehr das Schulheft gemeint ist.

Völlig fremd war mir auch der Begriff „Floischlåtår“, wörtlich Fleischlaterne. Danke für dieses neue Wort! Es ist eine Art Kühlschrank  aus vorelektrischer Zeit: ein ausrangierter alter Schrank wird mit einem Fliegengitter in der Türe versehen. Dies dient der Luftzufuhr, hält aber auch Ungeziefer und Mäuse fern. Er stand meist draußen im Schuppen (oder auf dem „Aufboden“?) und diente zum Aufbewahren und Kühlhalten von Fleisch und anderen Nahrungsmitteln. Falls das nicht ganz korrekt erklärt ist, bitte ich um Richtigstellung .

Hingegen ist mir „en Flǝur mät er Hink“ (wörtlich: Dreck mit Henkel) durchaus bekannt: das sagte meine Mutter immer dann, wenn ich unerfüllbare Wünsche äußerte. Ursprüngliche Bedeutung des Tätigkeitswortes  „flǝuren“: „De Kåtz häǝt  åf den fräsch geweischänen Teippich geflǝurt!“ also wenn man sich etwas gewählter ausdrücken wollte. In eine ganz andere Richtung gingen allerdings „dǝ Flǝuren“: Es waren die wunderschön buntgestickten abnehmbaren Manschetten für das Trachtenhemd der Frauen. Eigentlich waren sie überflüssig, da die Ärmel selbst bereits mit einer gereihten und bestickten Bordüre am Handgelenk versehen und die „Flǝuren“ nur noch eine luxuriöse Draufgabe waren, wohl um Fleiß, Geschicklichkeit und Wohlstand der Trägerin zeigen zu können?

Und wenn ich mich sonntags „richtete“ (herausputzte), um mit den Freundinnen auf der Reußener Straße zu flanieren, also „spazaren“ zu gehen, dann meinte meine Mutter kurz: „En Fädderwäsch än Hoingdern!“(es fehlt nur noch ein Federbusch im Hintern).

In Stolzenburg und wohl auch in anderen siebenbürgisch-sächsischen Gemeinden spricht man gern „reflexiv“, verwendet also gern das Wörtchen „sich“, was aber nicht heißt, dass man sich ständig was antut : sich auskleiden: „Stell dir vor, jetzt hat sich auch die Kathi ausgekleidet! = die Bauerntracht ablegen und sich nach Art der Städter kleiden, also „herrisch“!; sich antun (dä dich un! = zieh dich an!), sich bedrehen, sich bekridden, sich hiepern, sich bekätzen, sich bezahlen (aus dem Leben scheiden), sich beschmuddern, sich betrepsen, sich beschütten, sich en Dräft nïen (Anlauf nehmen), sich erblasen (sich nach einer Anstrengung erholen, Luft holen); sich kugeln (vor Lachen, eher kein Stolzenburger Ausdruck), sich mutieren, sich richten (sich zurecht machen), sich rommen, sich scherjen, sich spielen: mutwilliges und sinnloses herumwerkeln, basteln, z. B. ein Gerät auseinandernehmen und es dabei kaputt machen: was (=warum) spielst du dich da herum?; sich überdrehen (sich überschlagen), sich verkrüppeln (du hast dir(!) die Hosen verkrüppelt – zerknittert), sich verfressen, sich verkommen, sich verkosten, sich verschnüren, sich vollschweinzen, sich vrichten: vricht dich! auf sich allein gestellt sein; sich umlegen (!), sich wechseln (= sich umziehen), sich verzirken und vieles mehr, worüber Fremde sich nur wundern können.

Eine Ausnahme vom beliebten Reflexivum macht im Stolzenburger Dialekt just ein Verb, das im Hochdeutschen geradezu auf einer reflexiven Form besteht: sich verschätzen: z. B. verschätzt man sich beim Zählen, Rechnen, Messen. Jedoch im Stolzenburger Sächsisch verschätzt man sich selber nicht, dafür können andere einen verschätzen: „Danke, dass Ihr uns nicht verschätzt habt!“ soll heißen: … dass Ihr uns besucht habt, dass  Ihr unsere Einladung nicht ausgeschlagen habt.

Ich habe bewusst nicht alle Ausdrücke „übersetzt“, damit man miteinander, vor allem Jung mit Alt, ins Gespräch kommt. Auch für Rückmeldungen und Richtigstellungen bin ich sehr dankbar!

Wörter, über die Nicht-Siebenbürger („Reichsdeutsche“) verständnislos den Kopf schütteln, grinsen oder auf die falsche Fährte gelockt werden, wären etwa:

Augenspiegel, Autostopp, Bandisten, das Brautvertrinken, Brustbild, Brustpelz, Motorin, Piserwasser, Puffärmel, Pippihäubchen, Wichsleinwand. Die Liste ließe sich (fast) unendlich weiterführen.

Viele Ausdrücke sind selbst im Hermannstädter Sächsisch unbekannt und nur auf dem Land gebräuchlich, z. B. äougeschainzelt, ägebuddert, gur (alle), klantschig, mutschlich, måddich, tråckesen, Baulen, dǝ Bång, Bechen (große Wäsche im Freien), Friseln, Kaimes (Tauffeier), Loihr (Konfirmandenunterricht), Pändel (Rock, Unterrock), Poitasch, Quautsch, Schalăuen, Schluppesupp, Schoifhuǝt, Zitzenhaulder u.v.m.

Hingegen sind neppǝkrittich, gohmern und schemmern (evt. von ungar. sömörön?) siebenbürgisch-sächsisches Gemeingut und sogar bei jungen Menschen (zumindest spaßeshalber) gebräuchlich, auch wenn sie, trotz siebenbürgischer Wurzeln, selbst nicht (mehr) Sächsisch sprechen.

Schwierig hingegen wird es bei: åldoirest, åldoirent, åldäckest „dertais“, „fricht dich!“, „giënst“, „keiniff“, „meihr wonoi“, „meihr nuor“ „niët ze fuodder“, “nå, wa niët?“, „nå drîă“, „oist“, „piha“ (igitt!), „tchiha!“ (wow!) oder „räck moi åmmen!“?

Und wer kennt den Unterschied zwischen: „naa“, „nå“, „nä“ oder etwa zwischen nîǝ (nach UND nahe), dîǝ, wîǝ, woi, doi? Wer errät die Bedeutung der unscheinbaren aber wichtigen Wörtchen „ha“, „wa“, „ba“, „da“? Wohl nur ein „echter“ Stolzenburger, nur eine „echte“ Stolzenburgerin!

Eine weitere - winzig kleine - Auswahl aus unserem originellen  Wortschatz finde ich in meinen zahlreichen Notizen und möchte sie euch nicht vorenthalten:

ägebuddert, ägebeddemt, äougeschaingzelt, aurschlich (rückwärts, ärschlängs), beschmuddert, brimmig, bespeiteln, betrepst, eipǝsch, fauseln, frongdern, gefenstert (kariert), hat nichts mit dem bayerischen „fensterln“ zu tun; glaanich, gårz, Gech, geperjschelt, Grunnen, herrǝsch (gekleidet), kaptschullig, klantschig, måddich, mutschlig, oilätzig, oinǝsch, palaukesch, proipeln, et reinzelt, et schnauzelt (hat nichts mit Schnauze zu tun, es handelt sich um leichten Schneefall!), schmuggeritzig (mager, schwächlich), schwibblich, spräoungkes, tråckesen, unzäckig, verhuddelt (im Kopf), verpuddert, verkräppelt, verschmeißen, zegräscheln, zuntjeln, zesummengebreddelt.

Ich möchte betonen, dass ich nicht auf alle aufgelisteten Wörter den „Stolzenburger Monopolanspruch“ erhebe. Ob und ggf. welche Begriffe ausschließlich Stolzenburg zugeschrieben werden können, wäre für Mundartspezialisten interessant. Ich bin nur Mundart-Konsumierende, -Betrachterin und Wortesammlerin. Ich erfreue mich auch am Ober- und Niederbayrischen, am Fränkischen, noch mehr am Plattdeutschen (Fritz Reuter lässt grüßen!) oder am lebensfrohen Kölsch. Alle Mundarten interessieren und faszinieren mich.

Weitere Kapitel werden folgen, wuon auser Härrgäout healft, dat ich lëiwen und gesanģtch bän: Eine Auflistung der Schimpfwörter, der Spitznamen und einer kleinen Sammlung von Redewendungen.

Bemerkenswert ist auch, dass es innerhalb der Gemeinde Unterschiede in der Verwendung verschiedener Begriffe gab: Bezeichnungen, die in der Niedergasse und Åf der Zïell Gang und Gäbe waren, kannte man in der Angler- oder Obergasse nicht und umgekehrt: z. B. die Zinnebäckeltchen, Patcharus und Zaiku!

Eine kennzeichnende Redewendung, die soziale Unterschiede und ein tief verwurzeltes Konkurrenzdenken ausdrückt, hörte ich vor Kurzem und möchte sie hier erwähnen: Einige Leute stammten von der reichen Dorfprominenz ab, d. h. sie waren nach eigenem Bekunden: „Liëtch vu Liëtjen“ und demnach keine „gewöhnlichen“ Menschen.

Unter den Reichen selbst war das Wetteifern und der Geltungsdrang noch ausgeprägter: Als sich Johann Plattner (1854-1942), der jüngste Spross unter den sechs Kindern der Familie Michael und Anna Plattner geb. Siewert, im Jahr 1897 für die vakante Pfarrstelle in seiner Heimatgemeinde Stolzenburg bewarb, stellte Martin Hallmen („der an der Straße“) prompt einen Gegenkandidaten bei der Pfarrerwahl auf und begründete dies so: Warum soll ein Plattner denn „mehr sein“ (= mehr gelten) als ein Hallmen?

Astrid K. Thal (16.03.2023)
 
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